Sampling im Wandel: Von Fairlight bis Beyoncé
In den letzten 40 Jahren gab es kein Instrument, das die Welt der Musik so nachhaltig beeinflusst hat wie der Sampler. In diesem Artikel geht es um die Entstehung der Sampling-Kultur, die dafür entscheidende Hardware und die Frage, ob das Sampeln von den Werken anderer einfallsloser Diebstahl oder ein sehr kreativer Akt ist.
Inhalt
Der Einfluss von Sampling auf die Musik
Sampler kennen wir heute meistens in der Form von Plugins oder als Teil von Grooveboxen – als eigenständige Hardware sind Sampler quasi obsolet geworden. Heutige Librarys für Software-Sampler wie Kontakt bieten realistische, ausdrucksstarke virtuelle Instrumente und leisten damit genau das, was frühere Hardware-Sampler bereits erfüllen sollten, aufgrund beschränkter Technik aber eigentlich nicht wirklich beherrschten. Stattdessen wurden heutige Vintage-Sampler primär für Sounddesign benutzt oder noch häufiger etwas „zweckentfremdet“ zum Musikmachen mit Teilen fremder Werke genutzt.
Sampling beschreibt die Kulturpraxis, mit Samples von bestehenden Aufnahmen eine neue Komposition zu erstellen. Im Gegensatz zu einem Remix geht es also vornehmlich darum, die aufgenommenen Sounds und Parts in einem völlig neuen Kontext zu verwenden.
Am Anfang war der Fairlight CMI
Viele sehen eine Art Proto-Sampler bereits beim Verwenden von manipulierten Sounds, die mit einer Bandmaschine aufgenommen werden – so wie das bei Musique Concrète bereits in den 40ern des letzten Jahrhunderts passierte. Auch das Chamberlin und das Mellotron werden gerne als Vorläufer heutiger Sampler angesehen. Hier soll es aber primär um Digital-Sampler gehen und welchen Einfluss diese auf die Geschichte der Musik haben.
Deshalb fängt unsere kleine Geschichtsstunde auch nicht mit Tapes oder Mellotrons an, sondern mit dem Fairlight CMI, dem ersten „Synthesizer“ mit digitaler Sample-Technologie. Das 1979 vorgestellte System muss auf Musikschaffende wie eine Begegnung mit der dritten Art gewirkt haben. Der Fairlight CMI sieht nämlich wie eine Kreuzung aus Computer und Synthesizer aus – genau genommen ist das auch die treffendste Beschreibung.
Bedient wurde über einen Lichtgriffel am Monochrom-Monitor (eine Maus gab es zu dem Zeitpunkt allerhöchstens in den Laboren von Xerox Alto), eine typische Computer-Tastatur gehörte ebenso zur Ausstattung. Und weil es so schön ist, sehen wir hier den CMI in dem berühmten Video mit Herbie Hancock und Tatyana Ali:
Feuervogel
Dass es zu interessanten Klängen führen kann, einen Sound aufzunehmen, digital zu manipulieren und dann wieder abzuspielen, dürfte den Erfindern Peter Vogel und Kim Ryrie mit Sicherheit während der Entwicklung klar gewesen sein. Dass diese Möglichkeiten nur ein paar Jahre später die Musikkultur auf den Kopf stellt, war aber vielleicht noch nicht abzusehen. Dabei zeichnete sich diese Entwicklung bereits bei den enthaltenen Werksounds ab.
Denn auf einer der großen Floppy-Disks schlummerte ein kurzes Sample, das heute unter dem Namen Orchestra Hit 2 bekannt ist. Ein sehr markanter Sound, den du bereits unzählige Male gehört hast. Egal ob Afrika Bambaataa, Britney Spears, Duran Duran, Bruno Mars, New Order, Yes oder The Smiths – alle haben diesen Sound benutzt. Und nicht alle werden einen Fairlight CMI besitzen, dieses Sample ist also quasi zu einem allgemeinen Gut geworden.
Dabei stammt das „Original“ nicht aus der Feder der Fairlight-Erfinder, sondern von einer Aufnahme des russischen Komponisten Igor Stravinsky. Eine Sekunde aus „Der Feuervogel“ wird zu einem der prägendsten Sounds der 80er und einem hartnäckigen Begleiter in den 90ern und darüber hinaus.
Diggin‘ in the crates
Fast gleichzeitig zur Einführung des ersten Samplers entwickelt sich in New York ein neuer Musikstil, angetrieben von ein paar DJs wie Kool DJ Herc, Afrika Bambaataa oder Grandmaster Flash – Rapper stoßen erst ein bisschen später dazu. Die innovativen DJs gehören zu den Pionieren des Hip-Hop und erzeugen mit Hilfe von Schallplatten einen neuen Sound. Dafür wird oft der Rhythmus-Part einer Schallplatte mit dem gleichen Part auf einem zweiten Exemplar so zusammengemischt, dass die Passage beliebig lang gehalten werden kann. Ein klassischer Loop, nicht auf Tape, sondern mit Vinyl in Echtzeit erstellt. Die Mixtechniken Cutting und Scratching ermöglichen zusätzliche Manipulationen des Sounds.
Es ist also eigentlich nur eine logische Konsequenz und eine Frage der Zeit, bis die neue Sampling-Technologie hier Einzug hält. Zunächst müssen sich die Hip-Hop-Pioniere aber noch mit Turntables, Mischpult, Drum-Machine und Mehrspuraufnahmen begnügen – denn die Technik von Samplern bietet einfach noch nicht genügend Leistung und ist schlichtweg auch zu teuer und primär etablierten Künstlern wie Peter Gabriel, Herbie Hancock oder Kate Bush vorbehalten.
Musik-Nerds dürfen sich gerne darüber streiten, welcher Titel nun wirklich das erste Stück mit einem eindeutig erkennbaren „Snippet“ von einem anderen Song ist. In der Tat dürfte aber Hip-Hop der wesentliche Katalysator dieser Kulturpraxis sein.
Und damit sind wir auch bei dem angekommen, was die meisten von uns heute unter Sampling verstehen. Bis heute ist es gängige Praxis, alte und seltene Schallplatten aufzuspüren, nach passenden Samples zu suchen und daraus einen neuen Song zu erstellen. Diggin‘ in the crates!
Während Sampling zunächst besonders im Hip-Hop mit Gerätschaften wie der AKAI MPC-Serie oder der E-mu SP-1200 eine entscheidende Funktion übernimmt, folgen kurz darauf viele andere Musikstile. Besonders interessant ist dabei Breakbeat-Musik und der in England entstehende Stil Drum and Bass.
Amen im Timestretch
Während Sampling im Hip-Hop noch relativ „konservativ“ benutzt wird, reizen in den 90ern aufkeimende Stile wie Jungle und Drum and Bass die technischen Möglichkeiten der neuen Sampler-Generationen bis zum Limit aus. Mehr Speicher, bessere Prozessoren und der Erfindungsreichtum einiger Ingenieure sorgen für bisher nicht mögliche Tricks.
Timestretching ermöglicht das Ändern des Tempos bei gleichbleibender Tonhöhe – ein bisher ungehörter Effekt. Während in den frühen 90ern Rechner immer noch primär Büro- und Spielemaschinen sind, gehören Hardware-Sampler zur Sperrspitze der digitalen Musiktechnik.
Der Break des Stücks „Amen, Brother“ von The Winstons rattert dank Timestretch plötzlich ganz locker auf 180 BPM und bekommt dabei gleichzeitig diesen einzigartigen Soundcharakter verpasst. Der Effekt wird noch deutlicher, wenn Sounds extrem verlangsamt und in einzelne „Grains“ aufgelöst werden. Sampler wie der Akai S3000 brauchen für die Berechnung mitunter ein paar Minuten, das Ergebnis klingt aber wie von einem anderen Planeten.
Dazu kommt der immer ausgefeiltere Umgang mit Samples. Die werden nicht einfach nur als Loop gespielt, sondern in einzelne Slices zerlegt und dann in neuen Kombinationen zusammengesetzt. Die mit Timestretching erstellten Parts kombinieren Producer mit hochgepitchten Variationen des gleichen Samples. Und das wird dann alles wieder aufgenommen, mit Effekten und EQs bearbeitet und anschließend wieder neu in den Sampler gejagt.
Auf diese Art und Weise verwandeln sich ausgewählte Breaks von ein paar Soul-, Funk oder Rock-Songs fortwährend in etwas völlig Neuartiges. Eine Art Kontinuum, das sich um immer gleiche Sounds dreht – aber beständig zu neuen Ergebnissen führt.
Sampling: Kreativität, Diebstahl und das liebe Geld
Natürlich gehört es auch zu der Entwicklung des Samplings, dass diese Praxis nicht nur für Begeisterung sorgt. So stören sich einige daran, dass es Artists gibt, die sich bei den Aufnahmen anderer Leute bedienen. Ist das kreativ, wenn man anderen etwas wegnimmt? Ist das überhaupt erlaubt?
Solche und ähnliche Fragen drängen sich auf und werden auch heute sehr leidenschaftlich diskutiert. Und natürlich gibt es auch immer Beispiele für einen eher einfallslosen Umgang mit Samples. Trotzdem bleibt dieser Aspekt eine Ansichtssache. Für einige ist das ideenlos, andere halten Sampling immer noch für eine sehr (post-) moderne kulturelle Praxis.
Ein Aspekt ist heute hingegen relativ klar: Es werden Rechte verletzt, sogar in fast allen Fällen gleich zwei unterschiedliche. Da ist zunächst die Komposition. Dazu kommen die Rechte an der Aufnahme, die häufig bei einem Label liegen.
Für beide Rechte muss je nach Verwendung bezahlt werden, eine Missachtung kann heutzutage sehr teuer werden. Dass Musikschaffende für ihr Werk vergütet werden, ist eigentlich nur fair. Ob das Geld tatsächlich immer an den richtigen Stellen ankommt, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Illegale Musik?
Bevor heute ein Stück mit auch nur den kleinsten Teilen anderer Werke veröffentlicht wird, sollten also dringend die Samples vorab geklärt werden. Dieses Sample-Clearing ist leider sehr aufwendig, kostspielig und macht auch nicht immer den Weg frei. Für aufstrebende Artists ist es deshalb schwieriger geworden, kreativ mit Samples anderer Künstler und Künstlerinnen zu arbeiten.
Im Underground wird die Sampling-Kultur dagegen weiterhin gepflegt. Bei einer Vinyl- oder Tape-Veröffentlichung in kleiner Auflage bleibt das Risiko überschaubar, bei Spotify oder anderen kommerziellen Streaming-Anbietern tauchen solche Titel natürlich nicht auf. Bandcamp ist eine gute Adresse, um Musik zu finden, die noch „klassisch“ und in einer Grauzone mit Samples arbeitet. Hoffentlich bleibt das eine Weile so.
Mittlerweile gibt es aber Plattformen wie Tracklib oder Unsample, die Zugriff auf einen wachsenden Katalog von Original-Aufnahmen anbieten, die du genauso gut auf Vinyl finden kannst. Falls du ein Sample aus diesen Sammlungen verwenden willst, lässt sich das „Clearing“ über die Website regeln.
Und es gibt sogar Studios, die darauf spezialisiert sind, musikalische Parts mit dem gleichen Sound wie auf einer Album-Veröffentlichung einzuspielen. Hier muss im Zweifel lediglich das Recht an der Komposition geklärt werden.
Beim sogenannten Micro-Sampling sind die „geklauten“ Sounds so kurz, dass sich die Quelle kaum feststellen lässt. Auch das ist ein Weg, heute kreativ mit Samples zu arbeiten, ohne danach vor Gerichten zu landen.
Während frühere Sample-CDs es mit den Rechten meist auch nicht so genau genommen haben, bist du mit den unzähligen kommerziellen Sample-Packs, die es heute so online gibt, sicher unterwegs.
Fazit: Das Ende einer Ära?
Eine einfache Lösung ist natürlich der komplette Verzicht auf Samples von der Musik anderer Leute. Für „Dummy“ von Portishead wurden extra Instrumente im Studio eingespielt, auf Platte gepresst und von dort wieder gesampelt – nur um einen „authentischen“ Sample-Sound einzufangen. Aber auch ein Titel wie „Glory Box“ kommt am Ende nicht ohne einen Loop von Isaac Hayes („Ike’s Rap 2“) aus.
Vielleicht kommt so langsam auch die Zeit, in der Sampling nicht mehr eine so große Rolle spielt und etwas „abgedroschen“ wirkt. Im Augenblick sieht es aber noch nicht wirklich danach aus. Ein Pop-Album wie „Renaissance“ von Beyoncé weist auch wegen der vielen Samples ganze Listen an Credits für Songwriting auf.
Es ist also wahrscheinlicher, dass Sampling auch in 100 Jahren noch eine gängige Praxis bei der Musikproduktion sein wird. Letztendlich ist das Verwenden eines Samples auch eine Art, Musik fortwährend mit unserer Vergangenheit zu verknüpfen.
Schade ist in diesem Zusammenhang eigentlich, dass Streams oder MP3s nicht so viele zusätzliche Informationen enthalten wie es in Booklets oder auf Covern von physikalischen Tonträgern der Fall ist. Für mich waren die angegebenen Sample-Credits bei vielen Platten nämlich auch immer die Türen zu neuen musikalischen Welten.
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2 Antworten zu “Sampling im Wandel: Von Fairlight bis Beyoncé”
Deswegen auch in den „letzten 40 Jahren“ ;) Natürlich hatten Synthesizer und (E-) Gitarren einen gewaltigen Einfluss auf populäre Musik.
Toll geschrieben! Und wie oft ist man nicht über die Samplecredits auf neue Künstler gestossen von denen man dann Alben gekauft hat. Also wie Du schon geschrieben hast, es hat alles mehr als eine Seite. Und immer auch eine gute! 😉