von Lasse Eilers | Geschätzte Lesezeit: 7 Minuten
Alles über MIDI 2.0, MPE und polyphonen Aftertouch

Alles über MIDI 2.0, MPE und polyphonen Aftertouch  ·  Quelle: Roger Linn Design, Roli

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MIDI 2.0, MPE, polyphoner Aftertouch – diese Schlagwörter sind in aller Munde und versprechen Funktionen, die mit dem „alten“ MIDI-Standard von 1981 nicht möglich sind. Doch was ist der Unterschied zwischen MIDI 2.0 und MPE, welche Vorteile bringen die neuen Standards und welche Geräte unterstützen sie überhaupt? Wir bringen Licht ins Dunkel.

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MIDI – eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte

Als Dave Smith von Sequential und Ikutaro Kakehashi von Roland auf der NAMM-Show 1983 einen Prophet-600 mit einem Roland Jupiter-6 verbanden und somit das MIDI-Zeitalter einläuteten, hätten sie sich vermutlich kaum vorstellen können, dass ihr neuer Standard noch Jahrzehnte später praktisch unverändert in beinahe jedes elektronische Musikinstrument eingebaut wird. Natürlich gab es einige Veränderungen im Laufe der Zeit – zum Beispiel wird MIDI heute oft über USB statt über die klassischen 5-Pol-DIN-Stecker übertragen –, aber im Wesentlichen kommunizieren unsere Instrumente noch immer über ein Datenprotokoll, das erstmals im Jahre 1981 skizziert wurde.

Nachteile von MIDI

Obwohl MIDI 1.0 sich als erstaunlich zukunftssicher erwiesen hat – sonst hätte es wohl kaum mehr als 40 Jahre überdauert –, hat der Standard einige gravierende Nachteile.

Die geringe Auflösung ist davon im musikalischen Alltag sicher am spürbarsten. MIDI 1.0 arbeitet nur mit einer Auflösung von 7 Bit. Das bedeutet, dass zum Beispiel Controller nur einen von 128 möglichen Werten haben können (27=128). Bei sensiblen Controller-Bewegungen wie Pitchbend oder Filterfahrten entstehen dadurch oft hörbare Sprünge statt eines stufenlosen Verlaufs. Auch für die Noten selbst gibt es nur 128 verschiedene Werte – Mikrotonalität ist somit ausgeschlossen.

Ein weiterer Nachteil ist, dass MIDI 1.0 keine Unisono-Noten auf demselben Kanal ermöglicht. Pro MIDI-Kanal kann jede Note zu einem bestimmten Zeitpunkt nur einmal erklingen. Das ist für Tasteninstrumente kein Problem – schließlich kann man jede Taste auch nur einmal zurzeit drücken. Auf einer Gitarre zum Beispiel ist es aber sehr wohl möglich, denselben Ton zweimal gleichzeitig zu spielen. Dies lässt sich mit MIDI 1.0 nur über den Umweg mehrerer MIDI-Kanäle realisieren.

MIDI-2.0. Schaubild

MIDI 2.0 Schaubild · Quelle: MIDI Org / Montage

Vorteile von MIDI 2.0

Seit Jahrzehnten tüftelt die MIDI Manufacturers Association – ein Zusammenschluss von Herstellern – daher am neuen Standard MIDI 2.0, mit dem diese Einschränkungen ein Ende haben sollen. MIDI 2.0 wurde oft angekündigt und schließlich auf der NAMM Show 2020 offiziell vorgestellt. Alle Neuerungen im Detail vorzustellen, würde hier den Rahmen sprengen – dies sind die in der musikalischen Praxis wichtigsten Vorteile:

  • Höhere Auflösung. MIDI 2.0 arbeitet in allen Bereichen mit einer wesentlich feineren Abstufung als die antiquierten 7 Bit. So steht für die Velocity eine Auflösung von 16 Bit bereit, was 65.536 Schritten entspricht. So präzise muss man erstmal Keyboard spielen können … Für Controllerwerte liegt die Auflösung sogar bei 32 Bit, theoretisch sind also Milliarden verschiedener Werte möglich.
  • Bidirektionale Kommunikation. Bei MIDI 1.0 wird immer ein sendendes Gerät (MIDI Out) mit einem empfangenden Gerät (MIDI In) verbunden. Mit MIDI 2.0 können Geräte über dieselbe Verbindung in beide Richtungen kommunizieren.
  • Abwärtskompatibilität. Mit MIDI 2.0 können Geräte abfragen, ob das Gerät auf der Gegenüberseite ebenfalls den neuen Standard versteht. Ist dies nicht der Fall, wird auf MIDI 1.0 zurückgegriffen. Dies soll sicherstellen, dass ältere Geräte nicht auf einen Schlag inkompatibel werden, wenn man das Studio auf MIDI 2.0 umstellt.

Nachteile von MIDI 2.0

Schon unter MIDI 1.0 wurde der alte Standard, bei dem MIDI über 5-polige DIN-Steckverbinder übertragen wurde, nach und nach aufgeweicht. Vor allem bei kompakten Geräten kommen inzwischen oft Miniklinkenstecker zum Einsatz, wobei die Hersteller sich leider noch nicht einmal auf einen einheitlichen Standard einigen konnten – was den Standardisierungsgedanken von MIDI ad absurdum führt. Auch USB wird heute oft verwendet – vor allem für Controller und Synthesizer, die direkt an einen Computer angeschlossen werden.

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Mit MIDI 2.0 könnte es in Zukunft noch komplizierter werden. Zur Übertragung der höheren Auflösung wurde das sogenannte „Universal MIDI Packet“ entwickelt – ein einheitlich formatiertes Datenpaket, das je nach Aufgabe verschiedene Formen und Auflösungen annehmen kann. Die Übertragung dieser Pakete funktioniert jedoch (bisher) nicht über die klassischen DIN-Steckverbinder, sondern nur über Verbindungen mit höherer Datenrate wie USB, Ethernet usw. Verbinden wir in Kürze alle unsere Instrumente über Netzwerkkabel miteinander? Vor allem, wenn die Abwärtskompatibilität gewahrt werden soll, könnte das zu Problemen führen.

ASM Hydrasynth Firmware-Update 1.5

Der ASM Hydrasynth ist ein MPE-kompatibler Synthesizer · Quelle: Ashun Sound Machines

Was ist der Unterschied zwischen MIDI 2.0, MPE und polyphonem Aftertouch?

Während MIDI 2.0 für eine grundlegende Neudefinition des MIDI-Standards steht, die alle Aspekte der MIDI-Übetragung betrifft, geht es bei MPE (MIDI Polyphonic Expression) um etwas ganz Konkretes von großem musikalischem Nutzen – nämlich die Möglichkeit, mehrere gleichzeitig klingende Noten unabhängig voneinander zu beeinflussen. So entstehen neue musikalische Ausdrucksmöglichkeiten, die mit einer herkömmlichen Tastatur nicht machbar sind.

Der Gedanke dahinter ist nicht neu. Schon in der ersten MIDI-Spezifikation von 1983 waren zwei Aftertouch-Modi vorgesehen: Channel Pressure (Aftertouch-Werte betreffen den gesamten MIDI-Kanal) und Poly Pressure (separate Aftertouch-Werte pro Note). Letzteres ermöglicht es beispielsweise, nur eine Note eines Akkords mit einem Vibrato zu modulieren. Aufgrund des großen technischen Aufwands (vor allem bei der Konstruktion kompatibler Tastaturen) und wohl auch mangelnder Nachfrage wurde Poly Pressure aber über lange Zeit von den Herstellern kaum implementiert.

MPE ist jedoch nicht dasselbe wie polyphoner Aftertouch! Während dieser lediglich separate Aftertouch-Daten für jede Note sendet, verteilt MPE die Noten auf verschiedene MIDI-Kanäle und ermöglicht so beispielsweise auch eine voneinander unabhängige Tonhöhenkontrolle (notenbezogenes Pitchbend). Man ist mit MPE also nicht auf Aftertouch beschränkt, sondern kann einzelne Noten – je nach den Möglichkeiten des Controllers – fast wie eigenständige MIDI-Instrumente behandeln.

MIDI 2.0 wird für MPE übrigens nicht zwingend benötigt. Allerdings wurden die dazugehörigen Funktionen wie notenbezogenes Pitchbend auch in den neuen Standard integriert.

ROLI Seaboard RISE 2

ROLI Seaboard RISE 2 · Quelle: ROLI

Welche Controller unterstützen MPE?

Das Erscheinen neuartiger Controller, die Ausdrucksmöglichkeiten jenseits herkömmlicher Tastaturen bieten, hat sicherlich einen großen Anteil am neu erwachten Interesse an polyphonen Ausdrucksmöglichkeiten wie MPE oder Poly Pressure. Geräte wie das Haken Continuum, das ROLI Seaboard, das Linnstrument oder das Keith McMillen QuNexus zeigten, was möglich ist, wenn man die starre Zweidimensionalität einer Tastatur aufbricht und um eine dritte Dimension pro Taste erweitert.

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Welche Synthesizer unterstützen MPE?

Inzwischen gibt es also Keyboards, auf denen man ganz anders spielen kann als gewohnt. Und so implementieren auch immer mehr Hersteller von Hardware- und Software-Synthesizern MPE oder zumindest polyphonen Aftertouch in ihre Instrumente. In der folgenden Liste findet ihr eine Auswahl kompatibler Hardware-Synthesizer. Da es ständig mehr werden (vor allem im Software-Bereich), kann diese Aufzählung jedoch nicht vollständig sein.

MPE-kompatible Hardware-Synthesizer (Auswahl)

Wichtig: Zum Teil erhielten die im Folgenden gelisteten Synthesizer die MPE-Funktionalität erst mit einem Firmware-Update. Stellt also auf jeden Fall sicher, dass die aktuelle Firmware auf dem Gerät läuft.

ASM Hydrasynth

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MIDI 2.0 – die unendliche Geschichte?

Während der langen Zeit, die von der ersten Ankündigung von MIDI 2.0 bis zur Vorstellung verging, rätselten alle, ob der neue Standard sich so rasant durchsetzen würde wie das klassische MIDI. Ein paar Jahre später kann man diese Frage nun mit einem klaren „Nein“ beantworten. Vollständig mit MIDI 2.0 kompatible Geräte muss man immer noch wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen suchen und von einer herstellerübergreifenden Einführung des neuen Standards kann keine Rede sein. Einige DAWs unterstützen den Standard inzwischen, was mangels ausreichender Verbreitung aber kaum Nutzen bringt. Hardwareseitig bietet lediglich Roland mit dem A-88 MKII ein Controller-Keyboard an, das immerhin für MIDI 2.0 vorbereitet sein soll – aktiv ist diese Funktion aber immer noch nicht.

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Es wirkt ganz so, als ob die Hersteller bisher abwarten. Niemand möchte viel Geld in einen Standard investieren, der dann keine universelle Verbreitung findet. Im Gegensatz zum umjubelten Auftritt von Dave Smith und Ikutaro Kakehashi im Jahr 1983 hält sich die Euphorie jedenfalls auffällig in Grenzen. Entwickelt sich das mit großem Tamtam angekündigte Protokoll also zu einem Rohrkrepierer? Erfüllt das alte MIDI 1.0 seinen Zweck also vielleicht für die meisten von uns doch noch ganz gut? Fast hat es den Anschein.

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