Linux Selbstversuch – 2 Jahre danach
Januar 2015: Ich hatte mich privat mit Linux angefreundet und angefangen, meinen „Officekram“ damit zu erledigen. Nicht weil gleichzeitig der Windows XP Support endete und entsprechende Wellen im Netz geschlagen hat (kräht danach eigentlich noch ein Hahn?), sondern einfach um mich fortzubilden. Irgendwann kam der Gedanke, es muss damit auch noch mehr möglich sein. So was wie Audiobearbeitung oder kurz DAW-Arbeit. Sei es aufnehmen, mischen oder komponieren. Hier zum Nachlesen.
Nun sind fast zwei Jahre vergangen. Zeit für eine Nachbetrachtung: Was ist eigentlich von dem Exkurs hängen geblieben? Eine TL;DR Version wird es nicht geben. Außerdem möchte ich betonen: Es sind meine Erfahrungen und meine daraus resultierende Meinung. ;)
Damals
Ich hatte mir vor allem Antergos als „einfaches Arch“ und Ubuntu Studio angesehen, parallel dazu habe ich natürlich auch mit anderen Distributionen herumprobiert, aber mich am Ende für die Beiden entschieden. Linux gibt mir bei der Benutzung ein gewisses Gefühl von Freiheit, aber auch von Sicherheit. Das mag trügerisch sein, aber ich dichte der Open Source Software mehr Sicherheit zu, als ich es Closed Source Programmen und Betriebssystemen gebe. Das aber nur am Rande.
Der Audioexkurs führte mich in die Welt von ALSA, JACK, Ardour, Mixbus und Bitwig. Nicht generell, aber viel zu oft führte mich das an den Rand dessen, weswegen viele Linux verteufeln: Man muss immer mal wieder selbst Hand anlegen. Da geht mal was bei einem Update schief und dann surft man im Netz-Foren und Wikis durch, blättert man-Pages und versucht im Terminal, die Sache irgendwie zu richten, dass es wieder funktioniert. Bei *Ubuntu weniger, aber bei Arch kam es dann doch einmal im Monat vor. Das ist für mich einmal im Monat zu viel.
Ich bin wahrlich nicht faul, möchte aber bei meiner durchaus kreativen Arbeit in der DAW nicht gestört werden. Oder anders: Wenn ich meinen Rechner anschalte, möchte ich nicht jedes Mal befürchten, dass irgendwas schief läuft. Da kam es auch schon mal vor, dass es nach GRUB beim Systemstart in keine Richtung weiter ging. Dann steht man da mit der Riff-Idee im Kopf. So was kann natürlich auch mit Windows oder OSX passieren … ist es aber nicht seit Erscheinen von Win 7 oder OSX 10.3. Man macht keine Updates während oder kurz vor den Sessions, das ist klar. Aber wenn man sie am Ende des Tages macht und am nächsten Morgen der Rechner nicht mehr ins System bootet, ohne dass es sich zuvor angekündigt hat, dann nervt mich das.
DAWs
Für Linux gibt es nicht die DAWs, die man so auf dem Markt vorfindet. Das heißt aber nicht, dass es keine gibt. Hängen geblieben, oder anders gesagt, mehr oder weniger empfehlenswert für Linux sind für mich nach der Zeit lediglich drei: Ardour, Mixbus und Bitwig. Alle anderen sind vom Funktionsumfang nicht ausreichend für „mehr“.
Bitwig ist aufgrund seiner Historie für mich ein Geschwisterchen von Ableton Live. Auch der Aufbau des GUI ist recht ähnlich. Bedient sich auch entsprechend, ist aber durch die Entwicklung parallel auf allen drei Hauptbetriebssystemen mein Favorit – nur eben nicht Open Source, was mir weniger, aber der hartgesottenen Linux-Community aufstößt. Ich kann den Gedanken nachvollziehen, aber bin mangels Alternativen auf jeden Fall bereit, darauf zu verzichten. Es bringt essentielle Effekte und Klangerzeuger mit und erlaubt auch LinuxVST als Schnittstelle für Drittanbieter.
Ardour und der darauf basierende Aufbau Mixbus (von Harrison Consoles) sind eher klassische DAWs im Stil von Pro Tools. Sie werden sowohl zusammen als auch parallel entwickelt. Manches wird zuerst bei Mixbus eingebaut, manches zuerst bei Ardour. Der große Unterschied von Mixbus ist der Mixer mit Mischpult-Optik, der acht vorgefertigte Busse mit Sättigung und Mixerstrips mit Kompressor und 3-Band-EQ zu Ardour hinzufügt – mit „Harrison Klang“. Beide sind Open Source und werden aktiv und zusammen mit der Community entwickelt. Die Hauptprogrammierer hängen gefühlt 24/7 in einem IRC Channel rum und freuen und ärgern sich über Input. Auf jeden Fall der direkteste Kontakt zu Entwicklern, den ich erfahren habe, auch wenn man mit teils sinnvollen Ideen als nichtig vom Chefentwickler abgetan wird.
Zwischeneinwurf: Falls jemand nicht weiß, was Open Source ist: Es handelt sich um frei verfügbaren Quellcode. Das heißt nicht, dass die fertigen Programme zwangsläufig kostenlos sind!
Rein von den Features stehen Ardour und Mixbus den Platzhirschen in der OSX und Windowswelt eigentlich in nichts Essentiellem nach. Aber hier und da muss man ein paar Abstriche machen. Für mich ist das neben der oft hakeligen Bedienung in Ardour und nicht immer zu Ende gedachten Features auch die sehr altbackene Optik. MIDI ist auch im Vergleich zu Logic oder Cubase sehr rudimentär eingebaut. Dafür gibt es aber auch Features, womit keine anderen DAWs punkten können: etwa die Frequenzanalyse oder Phasenkorrektur bzw. -analyse über alle Spuren in Mixbus. Das Routing ist (auch durch JACK) sehr frei und mit dem von Reaper zu vergleichen. No-Go ist für mich aber die fehlende Stabilität und Fehler, die mir außerhalb von Ardour nicht passieren. Etwa beim Laden eines Projekts zufällig platzierte Feedback-Schleifen, die in ein nicht mehr nutzbares Projekt führen oder nur mit dem Support gelöst werden können oder man komplett Routing und Inserts entfernen muss – auch wenn es davor funktioniert hat. Die mitgebrachten Effekte sind entweder extrem rudimentär (Ardour) oder schlicht ziemlich teuer (Mixbus) und nur als LV2 verfügbar.
Effekte und Plug-ins
Außer den DAWs gibt es noch weitere, für manche wichtigere Faktoren: Eins davon sind die Effekt Plug-ins. Hier sieht es bei Linux nicht all zu gut aus. Es gibt ein paar Pakete, die ausreichend sein können, um zu mixen, etwa die Pakete von Calf (Open Source und Donationware) oder das neue Paket von Tracktion. Dann wird es aber auch schon recht dünn mit qualitativ hochwertigen oder halbwegs modern aussehenden Plug-ins. U-HE bietet alle Plug-ins inkl. aller virtuellen Instrumente als LinuxVST an und ist damit als Plug-in-Hersteller ziemlich allein auf weiter Flur. Gerade Klangerzeuger wie Synthesizer, Drummachines und Sampler gibt es nicht wirklich. Entweder man nimmt jeweils das eine Verfügbare, was ein externes Programm ist und nicht auf dem Stand von den Äquivalenten der Mac- und Windowswelt oder man lässt es.
Harrison stellt auch eigene Plug-ins her, die sind im LV2 Format und sind somit an Linux gebunden. Sie sind recht teuer im Vergleich zu den Äquivalenten auf den anderen OS, die manchmal sogar kostenlos sind. Es gibt aber ein paar nette Features, die die Nutzung durch kluges Design einfach gestalten und man schnell am Ziel ist. Die Optik ist auch eher altbacken.
Virtuelle Gitarrenamps gibt es unter Linux auch nicht in der Masse. Man kann auf Guitarix setzen, das im Ansatz wie Guitar Rig funktioniert, aber es ist nicht einfach, ansatzweise ähnlich qualitativ gute Klänge damit zu bekommen. Das kann an der Komplexität der Bedienung liegen – oder (wie mir mal gesagt wurde) an nicht all zu guter DSP-Programmierfähigkeit, das kann ich als Programmierlaie allerdings nicht bestätigen oder widerlegen und möchte das auch niemandem unterstellen.
Mir ist das alles zu wenig. Ich brauche sicher nicht die Flut von Plug-ins, die zur Verfügung stehen, habe aber gern die Auswahl zwischen mehr als zwei bis drei Paketen.
Emulation
Wer jetzt innerlich oder in den Kommentaren WINE schreit: Nein! Das mag daheim im stillen Kämmerlein gehen, ist aber nicht nur bei der Einrichtung aufwändig, für manche Gefrickel nicht immer stabil und die Latenzen sind teils jenseits von Gut und Böse. Praktikabel und zuverlässig ist anders.
Vorteile von Linux
Bei all dem Gemecker gibt es natürlich auch Sachen, die Linux besser kann – ganz abgesehen von dem Freiheitsgedanken, der bei mir immer wieder mitschwingt, wenn ich das freie Betriebssystem nutze. Linux und Audio passt vor allem zusammen, wenn es fertige ALSA-Unterstützung für das Interface gibt und man so alle In- und Outputs via JACK routen kann und man in Sachen Mixing keine große Vielfalt an Effekten braucht.
Generell ist das Beste an Linux-Audio für mich JACK. Es ist ein Programm, mit dem sich fast barrierelos Audio- und MIDI-Daten systemweit routen lassen. Allerdings muss das Programm JACK als Schnittstelle und „Soundtreiber“ unterstützen. JACK selbst kann mit verschiedenen Architekturen umgehen und bietet auch Nischen neben ALSA eine Möglichkeit.
Summa Summarum
Das alles ist natürlich alle meine Meinung und im Vergleich zu den DAWs der 90er und 2000er für Windows und OSX Gemecker auf hohem Niveau. Da sah es recht ähnlich aus, was Features und Optik angeht. Optik entscheidet sicherlich nicht über gute oder schlechte DAWs, ist für mich aber ein wichtiger Bestandteil von dem Gesamtbild. Mag jeder sehen wie er möchte. Wenn ich die ganze Zeit einen Haufen unschöner und pixeliger Grafiken ansehen muss, dann stört mich das eben.
Wer kein Geld hat und/oder ältere Hardware (2008 und eher) und trotzdem Musik aufnehmen (und nicht produzieren) möchte, der sollte Linux inkl. Ardour als kostengünstige Lösung ins Auge schließen. Auch für erste Schritte ist das nicht verkehrt – Englischkenntnisse sind wärmstens empfohlen bis obligatorisch. Aber das ist in der Audiowelt eh so. Muss man sich dran gewöhnen.
Wer alle Sounds von extern nur aufnimmt und ein bisschen „Clips im Editor schieben und automatisieren“ möchte, ist hier definitiv richtig. Sobald der Sound in der DAW generiert werden soll oder man marktkompatibel sein möchte, sollte man sich etwas anderes überlegen. Bitwig und U-HE machen einen sehr guten Anfang – aber seit den beiden Releases für Linux ist auch nicht mehr so viel passiert. Hoffentlich schläft das alles nicht wieder ein. Die nächste Hoffnung in Sachen Schwung für Linux ist Reaper, was seit Längerem parallel und experimentell als Linux-Build bereit steht.
Aber ich weiß: Als Fallback für Mixing geht es auf jeden Fall. Bis dahin habe ich gern „mehr Grafik“ und Komfort.
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5 Antworten zu “Linux Selbstversuch – 2 Jahre danach”
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Ja wirklich schade! :-( Die DAW-Sache ist auch das einzige was mich bisher daran hindert komplett von Windows auf Linux umzusteigen. Aber noch mal so ein Windows wie Windows 10, dann ist es endgültig soweit ;-)
Windows 10 ist für mich das komfortabelste und stabilste Windows seit ich mit Win 3.1 eingestiegen bin. Die vielen, schwerwiegenden Probleme haben (zu meinem Glück) nur andere. ;)
Ich kenne sehr viele Leute die Windows 10 einsetzen (auch im Audiobereich) und niemand davon hat Probleme. Es scheinen also wirklich nur Einzelfälle zu sein..
welches interface hattest du benutzt?
Mein Hauptinterface ist das SPL Creon. UA versuche ich gar nicht erst.