von Jan Rotring | Geschätzte Lesezeit: 8 Minuten
Die Rückkehr der Jazzmaster

Die Rückkehr der Jazzmaster  ·  Quelle: David Smith / Alamy Stock Foto

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Die Fender Jazzmaster, 1958 als luxuriöses Spitzenmodell eingeführt, sollte Jazzgitarristen begeistern — wer hätt’s gedacht. Mit einem innovativen Floating-Tremolo, breiten Tonabnehmern und einem Offset-Korpus wollte Fender die anspruchsvollste Zielgruppe erobern. Doch das Vorhaben schlug fehl: Die vermeintlich revolutionäre Jazzgitarre fand kaum Anklang bei der gewünschten Klientel, die weiterhin lieber zur klassischen Archtop griff. Was als ein teures Missverständnis begann, entwickelte sich jedoch über Umwege zu einer Erfolgsgeschichte.

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Und so ging es weit weg von den „teuren Akkorden“ des Jazz: In den 1960er-Jahren entdeckte die Surf-Rock-Szene die Qualitäten der Jazzmaster. Ihr brillanter, singender Sound passte perfekt zum Hall- und Tremolo-lastigen Stil des Genres. Später wurde sie von Indie- und Alternative-Rock-Ikonen wie Thurston Moore (Sonic Youth) und Kevin Shields (My Bloody Valentine) neu interpretiert und avancierte binnen kürzester Zeit zur Kultgitarre für Individualisten. Die Jazzmaster wurde zur Gitarre der Außenseiter, der Experimentierfreudigen und derjenigen, die bewusst den Mainstream mieden.

Die Gitarre, die nie Hipster sein wollte, wurde zu einem Symbol für genau diese Ästhetik. Ihre Renaissance in den letzten Jahren zeigt, dass Nischenmodelle immer wieder zurückkehren – nicht trotz, sondern gerade wegen ihres eigenwilligen Charakters.

Der Sound der Jazzmaster

Der Stil der Jazzmaster ist unverkennbar: Ihr Offset-Korpus sorgt nicht nur für hohen Spielkomfort, sondern verleiht der Gitarre eine unorthodoxe Optik, die von Anfang an polarisierte. Das Floating-Tremolo-System ermöglicht subtilere Modulationen als die meisten klassischen Vibratosysteme, während die speziell entwickelten Pickups – größer und breiter als herkömmliche Singlecoils – einen Klang erzeugen, der sich irgendwo mittig zwischen klarer Singlecoil-Definition und warmer Humbucker-Charakteristik bewegt. Und nein, es sind eben keine P90s.

Diese klangliche Vielfalt machte die Offset-Gitarre zu einer Art Chamäleon unter den Gitarren. Surfer in den 1960er-Jahren schätzten ihren schimmernden, hallreichen Ton. Später wurde sie zur Ikone der Indie- und Alternative-Szene, vor allem dank Künstlern wie J Mascis von Dinosaur Jr., dessen fuzzgetränkte Soli ohne die Jazzmaster undenkbar wären. Kevin Shields von My Bloody Valentine formte mit ihrem Klang die verträumten, verzerrten Texturen des Shoegaze

Provokant formuliert könnte man sagen: Die Jazzmaster klingt so, wie die Stratocaster gerne klingen würde, wenn sie mutiger wäre. Sie besitzt eine Klangtiefe, die sich perfekt für alle eignet, die den Konventionen des Gitarrenspiels etwas entgegensetzen wollen — ganz unabhängig vom Genre.

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Design-Ikone oder “hässliches Entlein”?

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Die Optik der Jazzmaster war von Anfang an ein Streitpunkt. Mit ihrem als ergonomische Unterstützung erdachten, asymmetrisch geformten Offset-Korpus unterschied sie sich deutlich von den klassischen Designs wie der Stratocaster, Les Paul oder Tele. Und während viele Musiker ihre einzigartige Form als mutige Innovation sehen, empfinden andere sie bis heute als ungewöhnlich, sperrig oder gar hässlich. Genau diese Polarisierung trägt in meinen Augen jedoch bis heute dazu bei, dass die Jazzmaster über Jahrzehnte hinweg ein Modell blieb, das entweder geliebt oder ignoriert wurde – aber selten unbemerkt blieb.

In den letzten Jahren erlebt das Offset-Design der Jazzmaster eine beeindruckende Renaissance: Zunächst waren es Boutique-Hersteller, die ähnliche Formen für sich entdeckten. Doch mittlerweile haben auch Mainstream-Marken wie Fender selbst erkannt, dass die Nachfrage nach diesen charakterstarken Gitarren stetig wächst. Die entsprechenden Signature-Gitarren finden sich zuhauf im Portfolio des US-Unternehmens. 

Interessant ist der Einfluss der Jazzmaster auf andere Offset-Modelle wie die Fender Jaguar oder die Mustang, ohne die Kurt Cobain und Nirvana wohl nie so geklungen hätten, wie sie es taten. Es ist fast so, als hätte die Jazzmaster das Tor geöffnet für eine neue Ära der Individualität auf dem Gitarrenmarkt…

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Technik-Talk: Was macht die Jazzmaster so einzigartig?

Schon damals innovativ: Jazzmaster-Anzeigen
Schon damals innovativ: Jazzmaster-Anzeigen · Quelle: Ira Berger / Alamy Stock Foto

Die Jazzmaster zeichnet sich durch eine Reihe technischer Innovationen und Eigenheiten aus, die sie zu einem Unikat unter den E-Gitarren machen. Eines der umstrittensten Merkmale ist das Bridge-Design.

Ursprünglich als fortschrittlich beworben, bereitet die Brücke vielen Spielern Probleme, da Saiten leicht aus den flachen Saitenreitern springen können – besonders bei härterem Anschlag. Während Puristen dieses Merkmal als Teil des ursprünglichen Charakters verteidigen, greifen viele moderne Spieler zu Upgrades wie der Mastery Bridge oder der revidierten Fender-Bridge 9.5 um dieses Manko zu beheben.

Das Floating-Tremolo-System ist eine weitere Besonderheit. Es erlaubt sanfte, organische Tonhöhenänderungen und eignet sich ideal für subtile Modulationen. Zu Beginn wurde es jedoch oft als unzuverlässig kritisiert, was sich mit den heutigen Verbesserungen in der Konstruktion geändert hat. Viele Jazzmaster-Fans schwören mittlerweile auf den butterweichen Tremolo-Effekt, den kaum ein anderes System in dieser Form bietet.

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Die Pickups der Jazzmaster sind ebenfalls ein Alleinstellungsmerkmal. Ihre Bauweise unterscheidet sich stark von den klassischen Strat- oder Tele-Pickups. Der Klang verbindet den hellen Biss eines Singlecoils mit einer gewissen Wärme, die fast in Richtung eines Humbuckers geht. Das Ergebnis ist ein vielseitiger Ton, der sowohl für klare Akkorde als auch für verzerrte Soli ideal geeignet ist.

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Hersteller haben zudem begonnen, die Jazzmaster für moderne Spieler anzupassen. Neuauflagen und Custom-Shop-Modelle bieten Verbesserungen wie stabilere Bridges, optimierte Elektronik und ergonomischere Hälse. So finden auch Gitarristen, die zuvor von der technischen Eigenwilligkeit abgeschreckt waren, Zugang zu diesem einzigartigen Instrument — siehe Jim Root.

Übrigens hat Claudius vor einiger Zeit eine wunderbare Übersicht zu den Unterschieden zwischen den einzelnen Offset-Gitarren im Fender Portfolio geschrieben. Wer Einzelheiten sucht, wird hier fündig: Jazzmaster vs. Jaguar

Nischenmodelle als Statussymbol?

Jazzmaster neu gedacht: Jim Root Signature
Jazzmaster neu gedacht: Jim Root Signature · Quelle: Katja Ogrin / Alamy Stock Foto

Die Wahl einer Gitarre ist oft mehr als nur eine Entscheidung über Klang und Spielkomfort – sie ist Ausdruck von Persönlichkeit. Nischenmodelle wie die Jazzmaster ziehen Spieler an, die sich bewusst von der Masse abheben möchten. Während klassische Modelle wie die Stratocaster oder Les Paul als sichere Allrounder gelten, haben Nischenmodelle eine Aura des Besonderen. Sie vermitteln den Eindruck, dass ihr Besitzer ein feines Gespür für Individualität und einen Hang zum Unkonventionellen hat — oder eben genau das vermitteln möchte.

Die Jazzmaster ist in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel. Ihr Design und ihre Technik machen sie zu einem Statement gegen den Mainstream. Sie war nie die Gitarre für den Massengeschmack, sondern für diejenigen, die bewusst andere Wege gehen – sei es durch experimentelle Klänge oder durch ihren besonderen Stil. Ob Surfer in den 1960ern, Indie-Musiker der Neuzeit oder gar Metalheads wie Jim Root: Die Jazzmaster steht für eine gewisse kreative Haltung.

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Auch der Markt hat diesen Reiz erkannt. Immer mehr Hersteller springen auf den Hype auf und bieten eigene Interpretationen des Offset-Designs an. Vom Boutique-Hersteller bis zu großen Marken wird die „Jazzmaster-Artige“ in einer Vielfalt von Variationen und Preisklassen angeboten. Die Renaissance des Modells zeigt, wie stark der Wunsch nach Individualität bei Gitarristen ausgeprägt ist. Mein persönliches Design-Highlight ist hier übrigens die Maybach-Variante „Jazzpole 63“

Man könnte fast sagen: Während die Les Paul für Status und Tradition steht, ist die Jazzmaster ihr Gegenstück – ein Symbol für kreativen Nonkonformismus

Fazit: Die Jazzmaster – Gitarre für Außenseiter

Die Jazzmaster hat sich von einem vermeintlichen Flop zu einer Ikone der Gitarrenwelt entwickelt. Ihr eigenwilliges Design, ihre technischen Besonderheiten und ihre klangliche Vielfalt haben sie zu einem Symbol für Individualität und kreativen Ausdruck gemacht. 

Die heutige Renaissance der Jazzmaster zeigt, dass sie weit mehr ist als ein nostalgisches Relikt: Hersteller investieren zunehmend in Custom-Shop-Modelle und moderne Reissues, um den Bedürfnissen einer neuen Generation von Gitarristen gerecht zu werden. Vielleicht befinden wir uns also tatsächlich in einer „Offset-Ära“, die von einem wachsenden Interesse an unkonventionellen Gitarrenformen geprägt ist — in einem ganzen Meer von Single-Cut und ST-Style Gitarren eine dankenswerte Entwicklung.

Klar ist aber auch: Die Jazzmaster wird vermutlich nie die Verkaufszahlen von Stratocaster oder Les Paul erreichen. Doch ich finde, dass genau darin die Stärke eines solchen Modells liegt. Sie bleibt eine Gitarre für Außenseiter, für die ganz bewusste Entscheidung. Und daher bin ich überzeugt, ihr Erfolg ist kein kurzlebiges Phänomen, sondern ein Zeichen dafür ist, wie sich Individualität in einer standardisierten Welt durchsetzen kann. Bleibt nur noch eins: Meine Gitarrensammlung erweitern …

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