Angecheckt: Moog Matriarch – Analog-Synthesizer mit gefühlt „mehr als vier Stimmen“?
Wir sind weit hinter der Ankündigungswelle der Firma Moog und die kleinere Schwester Grandmother ist ebenfalls schon grundsätzlich in die Musikerwelt eingesickert. Es gibt aber den großen Vater Matriarch, der vierstimmig paraphon ist, und in Stereo arbeiten kann er auch. Grundsätzlich ist das Konzept der Semimodularität mit dem Mother-32 erstmals in einem Kompaktsynthesizer umgesetzt. Noch etwas ungewohnter wird das in den Versionen mit Tastatur. Zumindest bei Moog.
Moog Matriarch Synthesizer – Geschichte
Vor vielen Monden (1978) hat Korg für die Idee einer Teilmodularität den Begriff „semimodular“ geprägt. Bei Korg gab es mehr Einschränkungen als bei Matriarch und Grandmother, denn diese erlauben den Zugang und Vertauschen der Reihenfolge der Audio-Baugruppen (Oszillatoren, Filter, VCA). Die Module sind zwar angedeutet, aber nicht wechselbar und bietet farbliche-pädagogische Hilfen. Die Tastatur ist anschlagdynamisch und reagiert auf Aftertouch (monophone Druckempfindlichkeit = Channel Pressure) und lässt sich über rückwärtige Anschlüsse patchen.
Was ist möglich?
Generell kann man jedes Modul mit jedem verbinden oder theoretisch mit externen Modulen oder Systemen mischen oder erweitern und hat damit einen kleinen modularen Synthesizer oder eine Basiszentrale für ein Modulsystem, wenn man es denn möchte. Als nächstes könnte man beispielsweise einen LFO, eine Hüllkurve oder aber einen Physical-Modelling-Oszillator wie Plaits oder Elements einbauen.
Zu wenige LFOs oder ähnliches gibt es hier also nicht. Und wenn mal doch, lässt es sich leicht beheben und beim Livegig auf den Matriarch selbst zurückminimalisieren. Die Rückseite bietet allgemein Anschlüsse und Kontakt zu Stereo-Delay, Tastatur und dem Sequencer-Bereich. Letzterer ist für Clock-Signale und Start/Stop-Signale gedacht. USB und MIDI gibt es ebenfalls, ohne an der Thru-Buchse zu sparen. Der Sequencer erlaubt einen von der Tastatur getrennten Abgriff von CV, Gate, Clock und Anschlagdynamik. Das ist sehr gut so! Der Matriach denkt wie ein Modularsynth!
Anders spielen?
Ein Synthesizer, der so gebaut ist, will auch gespielt werden. Der Sequencer ist einfach und beherrscht die klassische Step-Eingabe und kann sich 4 längere Patterns merken. Das reicht für sehr sehr lange Bassläufe oder Melodien mit einer oder mehreren Noten. Das Prinzip ist einfach, aber effektiv und für nicht so kurze Basslinien und ähnliches gedacht und gemacht.
Mit dem Ratchet-Knopf und dem Hold-Taster lassen sich bereits unfassbar einfach und schnell Berliner-Schule-Gallopiersequenzen und Lassigue Bendthaus-Melodien bauen. Sofort entfaltet sich auch das klangliche Potential mittels des paraphonen Konzepts: Die vier Oszillatoren, von denen 3 in den Sync-Mode gestellt werden können, bilden die Grundlage für FM, Sync und damit Soundvariationen, die durch das gespielte Intervall oder Akkord entstehen. Das erzeugt Obertöne, und das individuell für jedes der Intervalle oder Akkord-Teile, die man mit 2 oder 4 Tasten spielen kann. Es gibt alle klassischen Abspielrichtungen und Oktav-Sprünge für Sequencer und Arpeggiator.
Außerdem liefert er unabhängig von der Tastatur auch eigene Signale an, die unabhängig von den Tastatur-Anschlüssen funktionieren können. Damit hat man schon eine ziemlich mächtige Offenheit, die bereits bei mehr als einem Ton sehr viel Kreativität lostritt. Intervalle und Akkorde lösen nämlich durch Stimmung und Oszillator-Oktavlage pro Oszillator per FM und Sync ganz andere Klänge für das resultierende Tongemisch aus. Klang und Spiel(weise) der Töne sind jetzt nicht nur rein musikalische Werte, sondern auch klangliche – eine FM oder Sync mit 2 Tönen werden radikal anders und durch den Trigger-Mode der Hüllkurven bekommen sie eine spezielle Dynamik.
So werden ein paar „Akkorde“ schnell zu Powerchords und krassen bis schreienden Sounds – und das nicht chaotisch, sondern gespielt. Hier zahlt es sich aus, wenn man spielen kann. Da sich die vier Oszillatoren für Vierstimmigkeit nicht vermehren und sich eben nur die beiden Hüllkurven teilen, wird es auch wichtig, wann man den tragenden Akkord oder Intervall oder Einzelton spielt – denn alles geht zusammen durch ein Doppelfilter. Man hat also einen Oszillator pro Stimme bei Vierstimmigkeit und noch 2 bei Zweistimmigkeit und alle vier bei Monophonie.
Stereo bleibt es aber immer und das ist sehr spannend, weil egal was man einstellt, der Sound stets stereo bleibt. Das ist musikalisch sehr viel spannender als eine echte vollständige Stimme. Deshalb kauft man sich so ein Gerät! Allerdings kann man tatsächlich Stereo-Paraphonie spielen, da VCF und VCA mit der paraphonen Idee sehr gut zusammenarbeiten. Auch das Stereo-Delay passt in dieses Konzept sehr gut hinein, ist allerdings digital. Sehr gut ist der jeweilige Stereo-Knopf in VCA, Delay und Filter – nicht nur für die Split-Variante, in der die beiden Hüllkurven jeweils wie zwei Stimmen verwendet werden können.
Macht aus Mono-Demos anständige Stereo-Spuren
Der Matriarch ist also für mehr als nur Basslines geeignet und macht aus ihnen auch deutlich, was Stereo in einem modernen analogen Synthesizer bedeuten kann. Auch automatische Sequencer-Improvisationen kann man sehr gut herstellen, da der Sequencer durch Umschalten der Sequenzen sehr spontan und zugänglich ist. Das alles ist sehr sehr „händisch“. Das ist bereits so, wenn man nur wenig patcht und gar nichts am Patch selbst verändert. Meiner Ansicht nach ist der Matriarch geeignet um aus langweiligem Mono-Geraffel ein hochkomplexes Stereo-Feld zu bauen! Ein Mehrwert für die finale Produktion.
Nebenbei sorgt das Stereo-Filter bereits für räumliche Bewegung. Der Clou sind nicht die verschiedenen Filterschaltungen, sondern die Resonanzen, die jeweils getrennt regelbar sind. Dadurch ergibt sich eine Art von Betonung, die man musikalisch sehr gut „mitnehmen“ kann. Diese Resonanzen betonen mal eher den Bass und modulieren ihn sanft per Hüllkurve und vielleicht auch per LFO ein wenig hin und her und machen damit das Gesamtbild sehr weit auf, und teurer und schöner ist es auch. Damit ist er nicht nur für Leads und Haupt-Sequenzen sehr gut geeignet, sondern wenn es vom Projektstudio in die Aufnahme geht, für komplexe Melodien und Drones und changierende Töne aller Art, die vorher einfach nur eine simple Sequenz waren.
Man kann den Klang geradezu formen und spielen. Durch die Spielweise wird genau das ohne Mehraufwand mitverändert. Hat man eine eher geschlossene Hüllkurve, so verläuft ein Akkord im Single-Trigger Mode wie eine Art musikalisches Echo ab, welches aber dann mehr Obertöne hat oder schräger klingt oder eine Art Power-Chord betont.
Wie spielt man 4 Oszillatoren richtig?
Was man beachten muss, ist der erste LFO (von 2), der nur mittels Modulationsrad die allerdings freie Mischung aus PWM, Filtermodulation und Tonhöhenmodulation einblenden lässt und die Abstimmung, was man dann lieber mit dem zweiten LFOs steuert. Der erste hat eine bewusst stufige Sägezahnwelle und Sample & Hold, dafür bietet der zweite Dreieck und Rechteck. Mit zwei Abschwächern kann man sich damit etwas für die Bühnenzeit bauen oder dort schräge FM-Mischungen innerhalb der vier Oszillatoren bauen, die man dann schnell mit den Abschwächerknöpfen steuern kann, ohne an komplexe Synthese denken zu „müssen“.
Die Oszillatoren und damit die Stimmen sind als Block zwei- oder vierstimmig oder monophon spielbar. Damit sind 2, 4 oder ein Oszillator jeweils im Einsatz und das kann sehr breit werden, wenn man das möchte. Vier Oszillatoren für eine Stimme ist schon sehr mächtig und Rauschen gibt es trotzdem obendrauf dazu. Tuning und Oktavlage sind dazu für die 2/4-fache Paraphonie aber fast spannender, da man damit durch Legato und andere Spielweisen quasi durch das Spiel selbst bereits interessante Spielideen und Sounds einwerfen kann. Dadurch ist man sehr flexibel. Deshalb ist der Matriarch auf jeden Fall für Player eine Bereicherung oder für sorgsame „Programmierer“.
Aber man muss dann wirklich Intervalle „malen“ – per Klaviatur ist es schon intuitiver. Wie schon erwähnt: Filter, Delay und VCAs sind jeweils doppelt ausgeführt und damit ist der Matriarch wirklich in der Lage rechts nicht genau so zu klingen wie links im Stereofeld. Dass man mit einem Knopf das gleichzeitig klanglich wie im Stereobild verschieben kann, ist eine neue Erfahrung, die im Modularbereich aktuell ebenfalls sehr in Mode gekommen ist. Der Matriarch hat demzufolge eine hochmoderne Struktur, ohne das „Analoge“ – und damit vermeintlich „Alte“ als Nachteil zu haben. Der Matriarch gehört eher zu den Guten – mir war die komplette Sub-Serie etwas zu mittig-aggressiv. Das ist hier nicht mehr der Fall.
Alles ist leicht zugänglich, und da Triggern und Co. wichtig sind, sind die Bedienelemente dafür auch einfach zu erreichen. Man wird sie viel öfter wechseln als bei einem festen oder anderen Kompakt-Synthesizern – und das liegt sehr stark an der Paraphonie und deren Möglichkeiten und eben an der Tatsache, dass die Tasten schön groß sind und man sie wirklich live „spielen“ kann. Mit Tastern sind hier Sync, Multitrigger und ähnliches gemeint, denn sie werden bei paraphonem Spiel sehr wichtig. Wer die nicht nutzt, nutzt auch nur einen Teil des „Matriarchen“. Er ist etwas mehr als ein aufgebohrter Grandmother, weil genau das möglich ist. Stereo, Spielbarkeiten und Paraphonie in dieser Art und Weise sind schon mehr, als zwei Grandmothers bieten könnten.
Ist das genug?
Ja, weil man schon sehr viel Spielmaterial hat und einem da nicht sonderlich schnell die Ideen ausgehen. Allein ein paar Akkorde mit versetzten Oktavlagen und ggf. auch Intervallen inspirieren sofort für neue Linen, die man auch verdammt schnell spielen kann, ohne zu „dudeln“. Das könnte sicher auch ein SCI Pro 2 leisten, jedoch hat dieser nicht so diesen Zugang und Zugriff auf wichtige Dinge wie Trigger Mode und Paraphonie – da muss man in Menüs umschalten und wird das daher eher nicht live tun. Die Elemente sind alle groß und leicht zu greifen. Ja, es gibt Synthesizer mit Wavetables und mehr und dennoch mit Paraphonie. Aber diese haben nicht unbedingt diese Stereo-Bespielung. Der Grundsound scheint beim Grandmother zwar etwas definierter zu sein, aber der stärkere Ausdruck ist mit dem Matriarch deutlichst besser und faktisch studiotauglich.
So kann das direkt auf „Platte“ oder CD oder was auch immer gehen. Dazu ist hier die zweite Hüllkurve schon sehr sinnvoll gegenüber dem günstigeren Grandmother. Stereo-Sounds und Paraphonie sind dort nicht möglich in diesem Maße. Der Matriarch ist daher nicht einfach ein bisschen mehr, sondern insgesamt holt man einfach viel viel mehr raus. Wie würde das erst sein, wenn ich noch brillanter wäre im Spiel wär oder einfach den Moog schon einige Monate im Einsatz hätte? Ich muss ihn ja leider auch zurückgeben.
Weitere Information
Kaufen kann man ihn hier bei Thomann.de (Affiliate) für 2.199 Euro.
Moog hält passende Informationen auf der Website bereit. Software oder so etwas braucht man dafür nicht.
Weitere interessante Produkte unserer „Angecheckt“-Reihe findet ihr hier. Ihr habt Vorschläge? Dann her damit!
Video
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2 Antworten zu “Angecheckt: Moog Matriarch – Analog-Synthesizer mit gefühlt „mehr als vier Stimmen“?”
Das delay ist aber BBD, nicht volldigital! Also analog, wenn man BBDs als analog durchgehen lässt!
Matriarch kommt von MUTTER und nicht von VATER.
Nur so nebenbei.
Moog hat sich mit Mother-32, Grandmother und Matriarch schon was gedacht.