Braucht die Welt noch mehr monophone analoge Synthesizer?
Es gibt aktuell ein reichhaltiges Angebot von monophonen analogen Synthesizern. Ob ältere, mittelalte oder aktuelle Modelle – es gibt diese Gattung in recht vielfältiger Ausprägung. Die meisten davon sind die direkten Kinder des Minimoogs, dem Urvater. Es gibt aber auch andere Formen wie den Make Noise 0-Coast. Braucht man so eine Menge von monophonen Angeboten eigentlich oder wäre es nicht Zeit für mehr?
Zunächst mal könnte man einfach den Gegencheck machen und schauen, wieviele polyphone analoge Synthesizer es gibt. Da gibt es deutlich weniger Hersteller und auch nicht so eine reichhaltige Auswahl. Allen voran sind aktuell Modelle von Behringer und Dave Smith zu nennen, aber auch von Elektron, Korg und Parva mit 4 bis 16 Stimmen.
Darüber hinaus gibt es Exoten wie Schmidt und Studio Electronics. Aber gegenüber dem monophonen Angebot ist das polyphone eher winzig. Und es wurde von den meisten primär mit DSI verbunden und neuerdings auch mit Behringer, da die wesentlich bekannter sind als ein Neuling wie Baloran. Da fehlt es noch an einem vergleichbaren Angebot.
Das Argument für monophone Analoge
Bei den monophonen Analogen kann man sich sehr liebevoll um einen Klang und dessen Spielweise und Ausprägung kümmern, so ein Pro-Argument von keinem Geringeren als Bob Moog selbst. Und das Kind seiner Mitarbeiter, der Minimoog, ist kürzlich in zwei Versionen faktisch wieder auf den Markt gekommen oder besser gesagt: kurz davor (Roland SE02 und Behringer D-Synth).
Abgesehen von sehr stark an Klassikern angelehnte Konzepte gibt es aber auch ganz neue Ideen von Make Noise oder Dreadbox. Es sind auch die Modularen, die konzeptionell doch meist monophon sind. Ihre Komplexität und Aufbauweise würde schlicht die doppelte Anzahl an Modulen erfordern.
So ist das bei klassischen Kompaktsynthesizern generell auch. Nur ist dieser Aufbau komplett bekannt und ein Rechenbeispiel, welches zusammen mit Verkleinerungstechniken wie SMD/SMT (kleinste Bauteile) und Produktionsmitteln heute mit gutem Engineering offenbar durchaus in ein relativ kompaktes Gehäuse wie das des vierstimmigen Minilogues passt. Weshalb macht man also nicht einfach dies, so der Aufwand eher moderat bis durchschnittlich ist?
Das andere Argument ist die schlichte Ähnlichkeit der Konzepte: 2 bis 3 Oszillatoren, mit Glück gibt es FM, Sync und Ringmodulation sowie Filter-FM und meist zwei LFOs und Hüllkurven, vielleicht 3. Die Angebote unterscheiden sich oft eher durch ihren Grundklang oder die Details wie Filterwahl und Kombination der Typen, Sättigungsmodelle und Struktur. So findet man heute durchaus Ersatzmaschinen für tote Roland Synthesizer wie die Bass Station 2, welche einen durchaus vergleichbaren Charakter abgibt, aber auch diverse Moogs und Co.
Mit ein bisschen mehr Entwicklungszeit …
Nicht alles, was es je einmal gegeben hat, aber dennoch viel. Kann ein halbwegs guter Musiker da nicht substituieren und verdammt noch mal einfach ein Gerät wählen, das passt? Es gibt doch genug! Oder ist diese Vielfalt einfach gut? Läge es nur an der kurzen Entwicklungszeit und gäbe es davon etwas mehr, so würde ich drei Punkte finden, die man vermissen kann:
- Polyphonie! Wieso nicht mal etwas mit 4 bis 8 Stimmen? Nach Umfragen sind ab 6 Stimmen viel mehr Kunden zu erreichen.
- Innovation und andere Konzepte. Es gibt zu wenig 0-Coast und zu viele „Clones“.
- Kombinationen oder Auslagerung in die digitale Welt, um mehr Vielfalt zu erhalten. (Das einfachste Beispiel wäre Novations Peak, komplexere sind Hybridsynthesizer wie der Waldorf Quantum.)
Es gibt inzwischen ein hohes Niveau bei digitalen Lösungen. Creamwares ASB-Serie und die aktuelle Roland System-Reihe zeigen, wie hochwertig ein digitaler Klangerzeuger sein kann, der analog geglaubte Klänge in hoher Qualität reproduzieren kann – es ist nur eine Technologie, kein Hexenwerk.
Digitale Synthesizer erlauben, deutlich einfacher Polyphonie zu erzeugen und sind gerade für die Standardstrukturen keine schlechte Option. Roland zeigte auch einen hybriden Ansatz in der JD-X-Serie, die gerade im analogen Bereich deutlich weniger überzeugend schienen als die System-1/8-Reihe. Es ist also auch bei analoger Technik nicht automatisch das vorhanden, was manche sich darunter implizit automatisch vorstellen, wenn etwas auch nur analog aufgebaut ist.
Die komplexe Antwort
Wenn wir das alles anschauen, so haben einige analoge Synthesizer wegen ihres Klanges sicher eine Berechtigung. Die Entwickler von heute sollten sich aber spätestens jetzt ganz allgemein umschauen, ob es weitere interessante Optionen gibt. Vielleicht kann man die Vorteile analoger Schaltungen in Schwingung und Resonanzverhalten kontrolliert von DSPs und FPGA interessant aufwerten, wie es der Paradigm versucht oder Jomox‘ Resonator Serie.
Vielleicht ist aber auch gut gemachte digitale Technik manchmal sogar besser, besonders wenn dabei einfach mehr Stimmen möglich werden und die Produktion deutlich weniger aufwendig ist.
Musiker mögen Vielfalt. Es kann und wird nie genau eine oder nur eine handvoll Lösungen geben können, die alle befriedigen. Deshalb sollte es immer alles geben. Aber jeder Entwickler, der nicht erneut bekannte Suppen kocht, hat mehr Chancen, solang die Hausaufgabe „Klang“ gut gemacht wurde. Das kann nicht nur im Versuch liegen, möglichst viele Chamäleons zu erschaffen, die versuchen etwas zu sein, sondern selbst höchst eigen sein zu dürfen.
Mut kann bei Hardware Geld kosten und vielleicht einen privaten Bastler an den Rand aller Ressourcen bringen. Jürgen Michaelis scheint heute seinen Sunsyn wie eine Hassliebe zu betrachten. Aber wie wäre es dennoch mit mehr von dem, was es nicht so viel gibt und mit mehr Mut?
Wie wäre es mit mehr Mut?
Ob wir unbedingt einen OB-X-inspierten einstimmigen Synthesizer brauchen nach so vielen SEM-Clones, kann man sich auch überlegen. Wenn ein junger Amerikaner einen OB-X-Clone baut, der polyphon ist und ihn in einer Kleinserie herstellt, die nicht nach China wandert und nicht mit Kleinstbauteilen von Bestückungsrobotern gebaut wird, ist das eine Chance für alle, die besonders liebevoll entwickelte Maschinen haben möchten.
Es ist heute Platz bei Preisen über 3000 und sogar unter 600 Euro. Aber auch dazwischen gibt es noch Spielraum, der womöglich genau jenen Weg nötig macht. Und dieser bedeutet Investition und Wissen, dass man etwas absetzen wird. Das erfordert Mut und den haben manche wohl lieber mit Althergebrachtem.
Wieso dann nicht mit mehrstimmig Althergebrachtem? Weshalb nicht besser als die Vorbilder? Warum muss ein heutiger Minimoog kein Hochpassfilter enthalten? Und wieso darf nicht einer seiner Oszillatoren Wavetables erzeugen können?
Das geht alles! Wer genauer sehen will, was möglich ist, muss nur mal bei den Eurorack-Angeboten schauen. Das können schnell Kompaktsynthesizer werden. Also wieso immer analog? Wieso immer monophon? Wieso alte Konzepte? Nur Vielfalt oder doch Mutlosigkeit?
3 Antworten zu “Braucht die Welt noch mehr monophone analoge Synthesizer?”
Top Artikel der mir aus der Sehle spricht. Auch ich bin die ewigen Clone und 0815 Monos leid. Ein kleiner Lichtblick ist da der Matrixbrute, wenn nur der Grundsound etwas edler wäre. Aber sonst ist es teilweise ein Armutszeugnis, wenn man sieht, wie wenig Risikobereitschaft besteht…siehe Roland / SE. Positiv zu erwähnen wäre noch der Dominion Club, klassisch Monophon aber mit einem Wavetable OSC. Ich hoffe auf mehr Synths wie den Quantum. Flagschiffe die neue Grenzen ausloten.
„Braucht die Welt noch mehr monophone analoge Synthesizer?“
Nein
Das Hauptproblem ist meiner Meinung nach erst im letzten Abschnitt angesprochen: Wo ist denn das Angebot an kreativen, neuen Instrumenten zwischen 500 und 3000 Euro? Also entweder Korg oder Roland Boutique – oder eben DSI und Moog am anderen Ende. Analog und subtraktive Synthese sind noch lange nicht ausgereizt, was man auch am Boom der Modularszene sieht. Was es da alles an Klein- und Kleinstherstellern mit unfassbaren Ideen gibt.
Abgesehen davon finde ich, dass Roland durchaus einen interessanten Weg geht. Anders als Korg, die mit Monotron, Volca Serie etc. erst die alten MS-Filter nochmal kommerziell ausgeschlachtet haben, dann mit MS-20 Varianten und dem Odyssey Klassiker wieder bezahl- und benutzbar gemacht haben, und dann mit Mini- und Monologue aus all den Erfahrungen zwei großartige Synths im Low-Budget-Segment herausgebracht haben. Roland gibt uns eben keine schnöden Wiederauflagen der alten Klassiker, sondern lotet erstmal die Möglichkeiten der Digital- und Programmiertechnik aus (ziemlich gelungen, wie ich finde) und optimiert dann die Herstellungsmethoden. Im nächsten Schritt holt man sich die „verrückten Typen“ mit street credibility ins Haus und kombiniert alles wieder neu.
Und nein, der Markt an analogen, mono- und polyphonen Synths is immer noch nicht überfüllt. Solange es immer wieder Hersteller gibt, die etwas neues ausprobieren.