von Jan Rotring | Geschätzte Lesezeit: 10 Minuten
Gitarren-Tunings abseits des Standards

Gitarren-Tunings abseits des Standards  ·  Quelle: Wavebreak Media ltd / Alamy Stock Foto

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E-A-D-G-H-E – sechs Buchstaben, die so ziemlich jeder Gitarrist im Schlaf aufsagen kann. Das klassische Standard-Tuning ist verlässlich, unkompliziert und allgegenwärtig. Aber mal ehrlich: Es ist auch ein bisschen langweilig, oder? Wer sich schon eine Weile mit der Gitarre beschäftigt, weiß, dass es da draußen noch eine ganze Welt an Gitarren-Tunings gibt, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Wuchtige Drop-Tunings, frei klingende, offene Stimmungen bis hin zu völlig abgefahrenen, fast schon mathematisch anmutenden experimentellen Tunings ist alles möglich.

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In diesem Artikel schauen wir uns an, was passiert, wenn man sich vom Standard zwar nicht verabschiedet – aber ihn dennoch hin und wieder mal verlässt.

Meine Top 20 Songs in alternativen Stimmungen

Bevor wir es nachmachen, müssen wir erstmal bewusst wahrnehmen, wie es klingt. Daher habe ich ein bisschen in der Plattenkiste gekramt und meine persönlichen Top 20 in Gitarren-Tunings rausgesucht, die nicht „Standard“ sind. Hört mal rein:

  1. Nirvana – Heart-Shaped Box
    Tuning: Drop C# (C# G# C# F# A# D#) 
  2. Soundgarden – Black Hole Sun
    Tuning: Drop D (D A D G B E), leicht höher gestimmt im Original 
  3. Queens of the Stone Age – No One Knows
    Tuning: C Standard (C F A# D# G C) 
  4. Led Zeppelin – Kashmir
    Tuning: DADGAD (D A D G A D) 
  5. The Rolling Stones – Start Me Up
    Tuning: Open G (D G D G B D) 
  6. Pearl Jam – Even Flow
    Tuning: Drop D (D A D G B E), leicht tiefer im Original 
  7. Joni Mitchell – A Case of You
    Tuning: E A D A A E
  8. Opeth – Ghost of Perdition
    Tuning: D A D F A E
  9. Deftones – Change (In the House of Flies)
    Tuning: Drop C (C G C F A D) 
  10. Chris Cornell – Seasons
    Tuning: Open F5 (F F C C C F) 
  11. Radiohead – Street Spirit (Fade Out)
    Tuning: Standard E (E A D G B E), leicht verstimmt auf 435 Hz 
  12. Sonic Youth – Teen Age Riot
    Tuning: G A B D E G (Custom) 
  13. Metallica – Sad But True
    Tuning: D Standard (D G C F A D) 
  14. Nick Drake – Pink Moon
    Tuning: C G C F C E
  15. John Butler Trio – Ocean
    Tuning: Open C (C G C G C E) 
  16. Foo Fighters – Everlong
    Tuning: Drop D (D A D G B E) 
  17. Jack White – We’re Going to Be Friends
    Tuning: Standard E (E A D G B E)
    Hinweis: Kein alternatives Tuning, aber oft mit besonderer Intonation gespielt
  18. Ben Howard – Oats in the Water
    Tuning: DADAAD (D A D A A D) 
  19. Devin Townsend – Deadhead
    Tuning: Open C (C G C G C E) 
  20. Tool – Schism
    Tuning: Drop D (D A D G B E) 

Das Ganze findet ihr hier als Spotify-Playlist: 

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Aber nun der Reihe nach: Welche Gitarren-Tunings sind relevant neben dem Standard-Tuning?

Drop-Tunings: Fette Riffs und Beef mit dem Bassisten

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Der Einstieg in die Welt der alternativen Gitarren-Tunings beginnt für viele mit einem Klassiker: dem Drop-Tuning. Die Idee ist simpel, aber wirkungsvoll – die tiefe E-Saite wird um einen Ganzton (oder mehr) heruntergestimmt. Statt E-A-D-G-H-E heißt es dann etwa D-A-D-G-H-E – und schon öffnen sich neue Riff-Welten.

Drop D ist dabei der bekannteste Vertreter und vor allem im Rock und Metal zu Hause. Powechords lassen sich einfacher greifen und mit nur einem Finger spielen. Wer es noch tiefer mag, geht auf Drop Coder Drop B, braucht dann aber auch fettere Saiten und idealerweise ein angepasstes Setup. Gerade Freunde des Tremolos kommen dann schnell an die (nervlichen) Grenzen des Machbaren.

Bands wie ToolMastodon oder auch die späteren Metallica setzen seit Jahrzehnten auf Drop-Tunings, um ihre Songs fett, düster und druckvoll klingen zu lassen. Und das Beste? Man muss dafür keine völlig neue Spielweise lernen – kleine Umstellung, große Wirkung.

Offene Gitarren-Tunings: Keith, anyone?

Meister der offenen Gitarren-Tunings: Keith Richards
Meister der offenen Gitarren-Tunings: Keith Richards · Quelle: Gonzales Photo / Alamy Stock Foto

Ein Open Tuning ist genau das, wonach es klingt: Die Leersaiten der Gitarre ergeben einen vollständigen Akkord, ohne dass man einen Finger auf das Griffbrett legen muss. Klingt easy? Ist es auch.

Offene Tunings gibt es so viele, wie es Akkorde gibt. Beispiele? 

  • Open D: D-A-D-F#-A-D
  • Open G: D-G-D-G-B-D
  • Open C: C-G-C-G-C-E

Diese Gitarren-Tunings werden häufig im BluesFolk und bei Slide-Gitarristen verwendet. Einer der prominentesten Fans ist Keith Richards, der ganze Stones-Klassiker in Open G geschrieben hat – mit nur fünf Saiten wohlgemerkt! 

Auch Joni Mitchell experimentierte mit über 50 (!) alternativen Stimmungen – darunter viele offene und alles dazwischen.

Der große Vorteil offener Tunings ist, dass durch das offene Klangbild automatisch dichte Harmonien entstehen, selbst bei einfachen Griffen. Und wer einmal ein Bottleneck ausprobiert hat, wird feststellen: Open Tunings machen süchtig. Sie zwingen dich allerdings, anders zu denkenzu hören und zu spielen. Die Lernkurve ist zunächst steil, dann aber ein echter Kreativitäts-Booster, so dass ich jederzeit eine Tele in Open G gestimmt habe. Passt einfach.

DADGAD & Co.: Wenn’s ein bisschen exotischer sein darf

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Die Stimmung  D-A-D-G-A-D  ist weder klassisch offen noch komplett experimentell. Sie bietet jedoch eine faszinierende Mischung aus offenen Klängen und modularer Harmonik.

DADGAD stammt der Klangfarbe nach ursprünglich aus dem keltischen Raum und wurde in der moderneren Musik vor allem durch Gitarristen wie Pierre Bensusan oder Jimmy Page (zu hören im sensationellen Kashmir) populär. Sie erlaubt das Spielen modaler Skalen, klingt irgendwie ätherisch und doch kraftvoll – perfekt für Fingerstyle, Ambient oder modernen Singer-Songwriter-Sound.

Auch andere Sonderformen wie das C6 Tuning (C-A-C-G-C-E) oder das sogenannte Nashville Tuning (bei dem die tiefen Saiten durch höher gestimmte ersetzt werden) bieten neue Klangfarben, ohne die Gitarre komplett umzubauen. Zumindest, wenn es um einen Test geht, denn spätestens wenn mit extreme Saitenstärken experimentiert wird, darf es gern auch ein entsprechend gefeilter Sattel sein.

Experimentelle Stimmungen: Verstimmt oder genial?

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Experimentelle Gitarren-Tunings verlassen die Komfortzone komplett und klingen, zumindest zunächst, mindestens ungewohnt. Manchmal auch einfach schief. Hier geht es nicht mehr darum, klassische Akkorde einfacher zu greifen, sondern darum, neue Klangtexturen zu schaffen, intervallische Experimente einzugehen und ganz bewusst mal alle Regeln zu brechen.

Die Band Sonic Youth ist wohl das Paradebeispiel dafür, dass aus solchen Experimenten viel gutes Zeug entstehen kann. Ihre Songs scheinen oft aus dem Chaos selbst gebauter Stimmungen zu entstehen. Von denen übrigens viele nur ein paar Mal verwendet wurden. 

Auch Devin Townsend und Tosin Abasi von Animals as Leaders tüfteln an eigenen Systemen, um komplexe Rhythmen und Harmonien umzusetzen.

Doch bei aller Kreativität ist der Preis solcher Gitarren-Tunings hoch: Viel muss neu gelerntneu gehört und eventuell auch neu notiert werden. Aber wer bereit ist, sich auf das Abenteuer einzulassen, wird belohnt – oder begibt nach ein paar Wochen in eine Therapie.

Die Schattenseite: Was bei alternativen Gitarren-Tunings nervt

So schön die Welt der Gitarren-Tunings auch ist – sie hat ihre Tücken. Und die lauern meist genau dann, wenn man gerade im Flow ist.

Erstens: Intonation. Wer viel umstimmt, merkt schnell, dass die Gitarre nicht immer sauber bleibt. Vor allem bei tieferen Drop-Tunings oder ungewöhnlichen offenen Stimmungen geraten Bundreinheit und Halskrümmung ins Wanken und müssen entsprechend angeglichen werden. Wohl dem, der mehrere Gitarren sein Eigen nennt. 

Zweitens: Setup-Stress. Jede alternative Stimmung verändert die Saitenspannung. Das heißt: Je nach Tuning brauchst du unter Umständen dickere oder dünnere Saiten, musst den Halsstab anpassen, die Brücke justieren oder sogar am Sattel feilen – spätestens hier trennt sich dann der Bastler vom Spieler. Oder vom Sammler mit guten Argumenten. Alles zum Setup findet ihr hier: E-Gitarre richtig einstellen

Drittens: Das gute, alte Live-Drama. Wer schon mal auf der Bühne stand und seine Band fünf Minuten warten ließ, weil das neue Tuning einfach nicht stimmen wollte, kennt das Problem. Lösung: Backup-Gitarre, gute (Locking-) Tuner – und eine ordentliche Portion Humor.

Kurz gesagt: Wer mit alternativen Stimmungen spielt, muss lernen, mit ihnen zu leben. Oder zumindest mit einem guten Setup-Techniker befreundet sein. Ach ja, Locking-Tuner helfen!

Praxis-Check

Du hast trotz der einen oder anderen Hürde Bock auf neue Gitarren-Tunings? Sauber. Dann kommen hier ein paar konkrete Tipps, damit der Umstieg nicht zur Frustnummer wird:

  • Saitenstärken anpassen: Wer tiefer stimmt, braucht dickere Saiten für weniger Gewabbel. Für Drop C z. B. mindestens einen .11er oder besser einen .12er Satz. Für den Experimentierkasten hat Ernie Ball alles, was du brauchst.
  • Tuner ist Trumpf: Investiere in einen guten chromatischen Tuner. Meine Empfehlung ist der PolyTuner von TC Electronic
  • Setup checken: Neue Stimmungen = andere Spannung. Plane gegebenenfalls ein schnelles Setupmit ein, insbesondere wenn du regelmäßig zwischen Stimmungen wechselst.
  • Zweitgitarre einrichten: Wer häufig die Gitarren-Tunings wechselt oder live spielt, sollte sich eine zweite Gitarre für ein bevorzugtes Tuning zulegen – das spart Zeit und Nerven.
  • Notizen machen! Es klingt banal, aber schreibe dir deine liebsten Tunings in einer ordentlichen Notation auf. Viele experimentelle Varianten geraten sonst in Vergessenheit – inklusive der damit verbundenen Spielweise.
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Mini-Setup-Guide: Welche Saiten für welches Tuning?

Welche Saite passt zu welchen Gitarren-Tunings?
Welche Saite passt zu welchen Gitarren-Tunings? · Quelle: Aleditorial / Alamy Stock Foto

Für einen ersten Anhaltspunkt lassen sich folgende Saitensätze gut einsetzen. Später ist es dann Geschmacksache und an jedem Gitarristen, seinen passenden Saitensatz zu finden. Mehr dazu auch hier: Die besten Saiten für deine E-Gitarre

TuningSaitensatzAnmerkung
Standard E.009–.042Flexibel, leichter Zug
Drop D.010–.046Mehr Druck im Bassbereich
Drop C.011–.052Stabilität für tiefe Riffs
DADGAD.012–.054Gutes Sustain für offene Resonanzen
Open C.012–.056Gleichmäßige Spannung wichtig

Fazit: Verstimmt? Vielleicht. Inspiriert? Auf jeden Fall!

Ob Drop DOpen GDADGAD oder das völlig verkopfte Tuning deiner nächsten Sound-Installation – alternative Gitarren-Tunings sind eine wunderbare Spielerei. Und vielleicht sogar deutlich mehr. Sie können ein Werkzeug und eine Klangquelle sein, die einem Kickstarter für kreative Prozesse gleichkommen. Aber, sie bringen Herausforderungen mit sich. Setup, Saitensätze und eine steile Lernkurve warten mit jedem neuen Gitarren-Tuning.

Aber für mich liegt genau darin der Reiz. Wer sich aus der Komfortzone der Standardstimmung wagt, wird mit frischen Ideen, neuen Songs und ungewohnten Sounds belohnt. Was meint ihr dazu? Schreibt es uns in die Kommentare!

Hinweis: Dieser Artikel enthält Werbelinks, die uns bei der Finanzierung unserer Seite helfen. Keine Sorge: Der Preis für euch bleibt immer gleich! Wenn ihr etwas über diese Links kauft, erhalten wir eine kleine Provision. Danke für eure Unterstützung!

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Eine Antwort zu “Gitarren-Tunings mal anders: Offene Stimmungen, Drop-Tunings und experimentelle Sounds”

    Guitana sagt:
    0

    Periphery nutzt auch viele alternative Tunings. Scarlet ist zum Beispiel in CGCEbGD geschrieben. Allerdings sind da Standard Saitensätze schnell überfordert.
    Wenn ihr sowas ernsthaft probieren wollt (gerade längerfristig) empfehle ich StringJoy inklusive String Tension calculator. Die Lieferung aus den USA dauert ein wenig, aber für solche Sonderwünsche ist es das Wert. Nutze ich auch auf meinen FannedFret Gitarren.

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