Moderne Synthesizer-Klassiker: Die Legenden von morgen
Gibt es eigentlich moderne Synthesizer-Klassiker – also Synthesizer von heute, über die man auch in 20 oder 30 Jahren noch sprechen wird? Wir glauben: ja! Hier sind sechs aktuelle Synthesizer, die das Potenzial haben, zu echten Klassikern zu werden.
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Moderne Synthesizer-Klassiker
Wenn von einem Synthesizer-Klassiker die Rede ist, denkt man natürlich zuerst an die analogen Legenden der 1970er und 1980er wie den Minimoog, Odyssey, Jupiter-8, Prophet-5, CS-80 oder OB-X. Auch unter den digitalen Synthesizern gibt es echte Klassiker vom DX7 über D-50, M1 und Microwave bis zum Virus und microKORG.
Aber was ist mit den Synthesizern von heute? Sind sie nicht immer wieder neue Aufgüsse der gleichen Ideen? Verblassen sie nicht ausnahmslos gegenüber den Meilensteinen vergangener Jahrzehnte? Gibt es überhaupt moderne Synthesizer-Klassiker?
Wenn man sich die Flut an Klonen und Nachbauten von Vintage-Synthesizern ansieht, die derzeit ganz oben in den Verkaufscharts rangieren, könnte man meinen, es gehe heute nur noch darum, das Erbe der Vergangenheit zu verwalten. Doch der Eindruck täuscht. Auch unter den Synthesizern von heute gibt es einige, an die man sich garantiert auch in 10, 20 oder 30 Jahren noch erinnern wird – sei es wegen ihrer innovativen Ideen, ihres tollen Sounds oder einfach ihrer großen Beliebtheit.
Einige Kandidaten, bei denen wir uns gut vorstellen können, dass man sie eines Tages als Synthesizer-Klassiker bezeichnen wird, haben wir hier zusammengestellt. Ob wir mit dieser Prognose Recht behalten werden, wird sich natürlich erst in einigen Jahrzehnten herausstellen …
Arturia PolyBrute 12: Ausdrucksstärkster Analogsynthesizer aller Zeiten?
Angesichts der vielen bemerkenswerten Hardware-Synthesizer, für die Arturia heute bekannt ist, könnte man glatt vergessen, dass der französische Hersteller ursprünglich eine reine Software-Firma war. In den letzten gut zehn Jahren hat sich das gründlich geändert und Arturia hat mittlerweile mehr als einen Hardware-Synthesizer im Programm, der das Zeug zum Klassiker hat. Auf den MiniFreak am unteren Ende der Preisspanne trifft das meiner Ansicht nach durchaus auch zu, genauso wie auf den MiniBrute.
Der in diesem Jahr erschienene PolyBrute 12 steht jedoch noch einmal auf einer ganz anderen Stufe. Das liegt in erster Linie an der unglaublich ausdrucksstark spielbaren FullTouch-Tastatur. Sie verleiht dem Synthesizer eine ganz neue Ebene der Expressivität, die man so bei kaum einem anderen Instrument findet – schon gar nicht bei einem Analogsynthesizer. Aber auch klanglich hat der PolyBrute 12 mit seinen Brute-Oszillatoren, den dualen Filtern und der umfangreichen Modulationsmatrix einiges zu bieten.
In unserem Angecheckt schreibt mein Kollege Rob Puricelli: „Der Arturia PolyBrute 12 ist eine Zäsur. Eine Linie im Sand, könnte man sagen. […] Er ist ein Musikinstrument im wahrsten Sinn des Wortes.” Das dürfte reichen, um in ein paar Jahrzehnten als Meilenstein der Synthesizergeschichte und als Synthesizer-Klassiker zu gelten.
Moog Mother-Serie: Semi-modular für alle
Als Moog im Jahr 2015 den Mother-32 herausbrachte, betrat der Hersteller Neuland. Etwas Vergleichbares gab es damals nicht. Der semi-modulare und damals vergleichsweise günstige Analogsynthesizer war einfach zu bedienen, brachte seinen eigenen Sequencer mit und lieferte schon ohne Patch-Verbindungen einen satten Sound. Zugleich war er aber auch die perfekte „Einstiegsdroge” in die modulare Welt. Für unzählige Synthesizer-Fans wurde der Mother-32 zum Beginn einer modularen Leidenschaft. Praktisch, dass man ihn auf Wunsch direkt ins Eurorack einbauen kann!
Später ergänzte Moog die Serie um den DFAM, das eigenwillige Subharmonicon und schließlich den Labyrinth und Spectravox. Im Team bilden die Synthesizer ein semi-modulares Klanglabor, das seinesgleichen sucht. Folglich gab es verschiedene Kombinationen der Synthesizer zeitweise auch als komplettes Moog Sound Studio zu kaufen.
Man mag davon halten, was man will, aber dass die Synthesizer der Moog Mother-Serie mittlerweile von einem anderen Hersteller nahezu 1:1 kopiert werden, ist der beste Beweis für ihren Status als moderne Synthesizer-Klassiker.
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ASM Hydrasynth: Der digitale Rebell
Die 2010er-Jahre waren geprägt von der Renaissance der Analogsynthesizer. Lange Zeit konnte man den Eindruck bekommen, dass ein Synthesizer analog sein musste, um „echt“ zu sein. Das verwundert nicht, denn nach den digitalen 1990ern und 2000ern war der Hunger nach Analogsynthesizern groß – vor allem nach bezahlbaren.
Doch dann betrat kurz vor dem Ende der Dekade ein Synthesizer die Bühne, der keinen Hehl daraus machte, dass er durch und durch digital war. Im Gegenteil – der ASM Hydrasynth trug dieses Etikett mit Stolz. Und sein vielschichtiger, extrem facettenreicher Sound überzeugte selbst die verbohrtesten Analogpuristen.
Mit drei Oszillatoren (davon zwei mit Wavemorphing), einer Mutant-Abteilung mit diversen Waveshapern, zwei sehr vielseitigen Filtern und einer überaus üppigen Modulationssektion mit je fünf Hüllkurvengeneratoren und LFOs pro Stimme kann der Hydrasynth Dinge, die kein anderer Synthesizer kann.
Ganz nebenbei trug er entscheidend dazu bei, den polyphonen Aftertouch wieder ins Interesse zu rücken und setzte damit einen Trend, der später zu bahnbrechenden Entwicklungen wie der Tastatur des PolyBrute 12 führen sollte. Das ist allemal genug, um dem Hydrasynth den Titel „moderner Synthesizer-Klassiker“ zu verleihen.
Groove Synthesis 3rd Wave: Kompromisslos gut
Ein weiterer moderner Digitalsynthesizer, über den man sicherlich noch in ferner Zukunft sprechen wird, ist der Groove Synthesis 3rd Wave. Bei ihm ist es weniger die auf Wavetables und virtuell-analogen Schwingungsformen basierende Klangerzeugung, die ihn einzigartig macht, denn sie ist zwar hervorragend umgesetzt, aber im Grunde nichts Neues.
Vielmehr beeindruckt der 3rd Wave durch die Liebe zum Detail, die das Entwicklerteam ihm hat zuteil werden lassen, und die Kompromisslosigkeit, mit der er als Instrument für Musiker entwickelt wurde. Alles an ihm fühlt sich nicht nur extrem hochwertig, sondern unglaublich inspirierend an. Der 3rd Wave zieht einen sofort in den Bann – durch seine Statur, seine intuitive Bedienung und vor allem durch seinen über alle Zweifel erhabenen Klang, der trotz der digitalen Klangerzeugung kaum organischer sein könnte. Beim Spielen spürt und hört man sofort, dass er ein moderner Synthesizer-Klassiker ist.
Expressive E Osmose: Die Keyboard-Revolution
Normalerweise geht es bei einem Synthesizer ja zuallererst um die Klangerzeugung. Wie viele Stimmen, wie viele Oszillatoren, welche Filter, solche Sachen. Ganz anders beim Expressive E Osmose: Während der langen Wartezeit, bis das futuristisch anmutende Keyboard endlich ausgeliefert wurde, waren es vor allem seine bis dahin noch nie dagewesenen expressiven Möglichkeiten, die die Fantasie der Synthesizerwelt beflügelten und die Geduld der vielen Vorbesteller bis aufs Äußerste strapazierten.
Ähnlich wie der PolyBrute 12 (der allerdings später kam) schafft das Osmose etwas, wovon Keyboarder und Pianisten schon träumten, lange bevor es Synthesizer gab. Seine revolutionäre Tastatur bietet Ausdrucksmöglichkeiten, die auf schwarzen und weißen Tasten zuvor unvorstellbar waren. Man kann Töne auch nach dem Anschlag expressiv formen, intuitiv Vibrato hinzufügen, nahtlose Glissandi spielen und vieles mehr – und zwar ohne darüber nachzudenken und ohne dass man sich an eine völlig neue Tastenoberfläche gewöhnen müsste, wie zum Beispiel beim ROLI Seaboard oder Haken Continuum.
Dass das Expressive E Osmose auch eine integrierte Klangerzeugung hat, die passenderweise von Haken Audio entwickelt wurde, auf den Namen EaganMatrix hört und perfekt auf die einzigartige Tastatur abgestimmt ist, rückt dabei fast in den Hintergrund. Schon allein durch die Leichtigkeit, mit der dieses Keyboard die Einschränkungen überwindet, die Generationen von Pianisten als gegeben hinnahmen, ist es ohne Zweifel ein moderner Synthesizer-Klassiker.
Teenage Engineering OP-1 (Field): Synthesizer-Klassiker und Designikone
Am Teenage Engineering OP-1 und vor allem an seinem Nachfolger OP-1 Field scheiden sich die Geister. Für die einen ist er die perfekte Symbiose aus Synthesizer, Sampler, Drummachine, Recorder und Effektgerät – alles in einem kompakten, akkubetriebenen Format für unterwegs. Für die anderen ist er nichts weiter als ein überteuertes Hipster-Spielzeug und der Beweis dafür, was gerade alles auf der Welt schiefläuft. Mit fragwürdigen Kreationen wie den singenden Holzpuppen, dem Campingtisch für 1600 € und dem 1000 € teuren Bluetooth-Speaker nur für Fans eines bestimmten Albums von John Lennon hat der Hersteller selbst viel dazu beigetragen, dieses Image zu kultivieren.
Eines dürfte jedoch feststehen: Der OP-1 wird nicht so schnell in Vergessenheit geraten. Denn es ist gerade diese Kombination aus flexiblen und doch eingeschränkten Möglichkeiten, ikonischem Design und, ja, auch dem polarisierend hohen Preis, die ihn einzigartig macht. Ich habe jedenfalls keine Zweifel daran, dass noch in 30 Jahren so gut wie jeder, der sich etwas intensiver mit Synthesizern beschäftigt, wissen wird, was ein OP-1 ist. Und ich halte es für gut möglich, dass funktionierende Exemplare dann zu hohen Preisen den Besitzer wechseln werden. Vielleicht gibt es irgendwann sogar Unboxing-Videos, in denen Leute mit zitternden Händen unberührte, noch in Folie eingeschweißte Originalexemplare aus der Verpackung befreien – so wie heute von den frühen iPhones oder Playstations. In meinen Augen ist der OP-1 deshalb definitiv ein moderner Synthesizer-Klassiker – egal, ob man ihn nun mag oder nicht.
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