Real-digital-Synthesizer im Synthesizer-Journal
Real-Digital ist kein echter Begriff. Ich nutzte ihn gern als Gegensatz zu den damals aus werbetechnischen Gründen „virtuell-analog“ genannten Synthesizern. Die digitalen Synthesizer sind indirekt schon länger „wieder da“. Aber wie hat das angefangen?
Was du hier im heutigen Synthesizer-Journal findest
Real-Digital-Check
Vor den Klassikern D-50, und treffender dem DX-7, gab es digitale Synthesizer. Gemeint sind Con Brio ADS 100, GDS, Acxel und weitere. Weshalb hat man diese überhaupt gebaut? Es gab diese teuren digitalen Synthesizer-Konzepte, die vergleichsweise unerreichbar waren. Dazu waren sie nicht mal bekannt. Sie waren aber zu einer Synthese in der Lage, die andere Angebote nicht lösen konnten. Diese stellten damals das maximal Machbare dar.
Aber was ist heute? Aktuelle kleine Rechner haben oft genug Power, um auch komplexe Synthesen zu berechnen. Deshalb gibt es heute Dexed in der Westentasche. Ich bin mit einer Faszination für diese Synthesizer und Prototypen „groß geworden“. Wollten einige Betuchte damit „exklusiv“ wirken? Nein, es war einfach nicht so leicht zu machen. Man musste deshalb in spezielle Studios mit diesen Geräten oder die Universitäten und Hochschulen hatten so ein Instrument für ihre Computermusik-Meister und Studenten gekauft. Privat waren nur erfolgreiche Leute in der Lage, so etwas zu besitzen. Könnte man heute mit einem großen Spezialsystem unerhörte Klänge schaffen, die mit ARM und Raspi nicht funktionieren?
Ein Beispiel ist der Crumar „DK Synergy“ bzw. GDS (technisch identisch), den man damals mit einem altmodischen CP/M Rechner bedienen musste. Er war mit bis zu 16 Operatoren gesegnet, die sich additiv oder als FM-Formation anlegen ließen. Weitere Konzepte gingen darüber hinaus bis zu Re-Synthese, anderen Ansätzen und Sampling. Das Synclavier hatte „nur“ 2 Operatoren aber mit vielen Layern, der heutige Nachfolge ist „Regen„.
Gibt es solche Real-Digital-Rechner heute? Teuer und spannend?
Darüber hinaus waren einige aber auch mit Re-Synthese und anderen Methoden ausgestattet. Sampling schließe ich hier einmal aus, sondern frage: Gibt es eine rechnerische Synthesemethode, die mehr von Rechenkraft profitieren würde als Hardware? Physical Modelling oder etwas, was weit über die mathematischen Grundlagen der FM hinausgeht? Additive Synthese mit faktisch unendlich vielen Bändern und freien Frequenzen (post K5000)?
Diese Bereiche waren jedoch bei Letzterem etwas spärlicher wie etwa der Technos Axcel. Aber schauen wir auf das, was das gegenüber heutigen Angeboten bedeutet. Diese Art von Ultra-Rechner für Musik ist ausgestorben. Es gibt sie nicht. Wenn, dann sind sie als App oder als eine neue Hardware wieder erschienen. Sie liegen dann aber genau auf dem Level wie das damalige System. Einen Con Brio Emulator gibt es noch nicht oder einen Buchla 400. Dennoch sind das eigentlich Maschinen, die für bestimmte Musik gebaut wurden, weil es eben funktioniert.
Digital Keyboards Synergy
Das Vorgängersystem des GDS, namens „Alles“ (nach dem Erbauer H. G. Alles) genannte 30.000-Dollar-System war der Vorläufer. Crumar hat 1982 den GDS bzw. Synergy I und II gebaut. Was der kann, ist faktisch bis heute eine halb offene Architektur für FM-Verbindungen zwischen theoretisch 1 bis 16 Operatoren und 32 Stimmen. Die Editor-Software dazu lief auf einem CP/M-Rechner und ist heute quasi mittels zweier Angebote zurückgekommen. Es gab sogar einen Expander, der 1985 fast schon ein bisschen zu alt und modern wirkte. Denn der DX-7 war 1983 für die Massen auf den Markt gekommen, so man eben 4096,00 D-Mark zur Verfügung hatte. Damals ein normaler Preis für so etwas. Ich meine wirklich Geräte weit jenseits der Fünfstelligkeit.
Obwohl bis 8 Operatoren seit dem Ultra-Exoten Yamaha FVX-1 und dem FS-1R als Hardware möglich sind, „damals“ war das absolute Utopie. Aber auch damals lagen nur wenige Jahre zwischen dem teuren Exoten und den erwähnten FM-Synths. Die Möglichkeiten und Bedienidee kannst du hier in einem Video sehen. Dies ist ein moderner „Synergy Editor„, quasi ein Synergy-Emulator mit einer Bedienung, die das Original so bequem nicht hatte.
Wie ist so ein System gegenüber heutigen Angeboten? Maximal 8 Operatoren kann man bei Yamaha Synthesizern mit FM finden, beim Korg opsix kann man sich 6 Operatoren aussuchen und frei verschalten. OP oder Operator steht für einen Sinus-Oszillator mit Lautstärkenhüllkurve. Es gibt „heute“ mehr Wellenformen und Modulation. Dafür ist die Struktur meist durch feste Verschaltungen („Algorithmen“) vorzuwählen.
Damit kann man leben. Aber was ist eigentlich mit dem heutigen High-End passiert? Ein C15 oder den Schmidt? Der Schmidt ist analog, den meine ich also nicht. Sind das die Einzigen? Die Geschichte dieser Synthesizer-Reihe findest du hier:
Sicher ist das GDS/Synergy ein teures System gewesen und kann sogar heute noch einige Dinge umsetzen, die andere nicht können. Dennoch sind die erreichbaren Angebote und Software vorhanden und können das ersetzen. Weshalb man sich heute aber nicht traut, bis hin zu 16 OP zu gehen. Das dürfte daran liegen, dass es ohnehin schon sehr wenige Leute gibt, die sich ausreichend der FM „hingeben“. Wir sind Nerds und allein!
Man kann alles übertreiben, dennoch wäre es wundervoll, die noch fehlende Idee „noch ein Operator oben drauf“ zu stecken zu realisieren. Das kannst du aktuell nur mit dem digitalen Modular erreichen. So aber auch für andere klassische Synthese-Ideen. Nicht mal EINE Software gibt es, obwohl das technisch nicht schwer ist. Hier muss man also selbst etwas basteln.
Damals hat man sich oft auf Varianten der schnellen Modulation beschränkt (Frequenzmodulation, Phasenmodulation bzw. Phasenverzerrung) und alternativ additive Synthese. Die Nachfolger dazu müssten also „noch erfunden“ werden.
Aufwendige real-digitale Syntheseprinzipien in Hardware?
Es gibt sie als Hardware nicht mehr. „So etwas“ landet heute in Software. Syntheseexperimente werden meist über die bekannten Systeme wie Max/MSP und PD realisiert. Wenn das nicht reicht, wird selbst auf Basis von C++ und anderen Programmiersprachen programmiert.
In Hardware wagen sich nur wenige Hersteller etwas real-digital umzusetzen. Ohne „VA“-Elemente aber mit guter Bedienung ist naheliegend, dennoch gibt es selbst heute keinen FM-Synthesizer mit einer vernünftigen Bedienidee mit Knöpfen, der keine Kosten spart. Die Fairlights und Synclaviers dieser Welt sind nicht einmal gemeint, sondern Con Brio, das GDS oder das bei Korg befindliche Waveguide-System, welches Basis hinter dem Z1, Oasys, der Wavedrum und Nachfolgern verwendet wurde. Also große Rechner mit musikalischen Bedienelementen. Von so etwas hört man nichts mehr.
Synthese vs. schnelle Rechner
Dieses real-digitale Beispiel aus den Neunzigern zeigt schon, dass die Entwicklung hochwertig beginnen kann, jedoch könnte ein Laie daraus keine klanglichen Wunderwerke bauen, sondern extrem scheitern. Aber wie offen ist man für das, was nach FM, AM und Re-Synthese kommt? Kann dort überhaupt etwas kommen? Ein „neuer Acxel“ mit dem gleichen Funktionskonzept würde heute deutlich wirksamer sein können.
Würde man heute so etwas bringen, so nimmt man meist etwas aus dem heute vielen Nerds bekannten Rechen-Einheiten, die schnell genug rechnen können und den Job erledigen können. Ein Computing-Modul des Rasberry Pi 5 oder ein ARM-Chip ist heute „normal“. Für ein High-End System mit eigener Hardware würde vermutlich eher ein Verbund mit Audio-Hardware die meiste Entwicklung kosten. Damit ist die Leistung heute zwar etwas unter dem, was der aktuell schnellste Rechner bietet, dennoch reicht es oft für das, was man an Rechenpower braucht. Wenn man darüber hinaus geht, wird es wirklich teuer. Heute gibt es oberhalb der Mehrkern-ARM-Chips und eigener Hardware wenig, was wirklich ganz oben angeboten würde. Die letzten Versuche dieser Art sind meist eher günstiger geworden.
Real-Digital für alle gibt es, sowas sieht dann so aus:
Real-Digital bedeutet eigentlich keine analogen Filter oder Elemente. Der MicroFreak zeigt, dass es auch mit einer Sammlung „einfacher“ Synthesebruchstücke geht, jedoch ist es schwer die Welt neu zu erfinden. Manchmal ist es einfach die Echtzeitrechentiefe an Audiosignalen. Da wird es selbst heute rechenintensiv. Von einem extremen High-End Gerät jenseits der 10.000 Euro oder mehr, würden Nutzer eine Menge erwarten und man bietet schlicht so etwas nicht mehr an.
Das Risiko für den Hersteller ist hoch, es sei denn er baut es für sich und seine Musik. Es gibt deshalb viele Einzelprojekte auf Basis der genannten Methoden, nicht aber ein gebautes Rechner-Audio-Monster. Der Mut allein ist es nicht. Künstler geben daher mehr und stecken heute mehr in die Realisation. Bei Licht ist das nicht anders.
Würdest du einen neuen Regen „heute“ kaufen? Etwas, das in den Achtzigern sagenhafte neue Sounds berechnen konnte? Ja? Und wenn es etwas HEUTE Unerhörtes wäre? Kostenpunkt 20-30k €? Auch wenn dein einziger Kunde Hans Zimmer wäre? Würdest du so etwas kaufen oder dich interessieren?
Nötig für die Synthese?
Der einzige übriggebliebene Hersteller dieser Art scheint Symbolic Sound zu sein, die ihre Rechen-Engines heute unter dem Namen Pacamara Ristretto anbieten. Sie sind allerdings nur normal-teuer, nicht unbezahlbar. Es kosten nämlich „nur“ $3818 Dollar (plus Transport) für die Kyma Pro-Version mit „vier Prozessoren“. Das ist wesentlich weniger als seinerzeit Con Brio und Co. kosteten. Teure Rechner und Mini-Computer waren damals auch anders definiert. Zielgruppe sind akademische und gut bezahlte Musiker mit hohen Ansprüchen in komplexer Synthese.
Ansonsten muss man heute eher am IRCAM, einer Musik-/Kunsthochschule oder an anderen offiziellen Stellen sitzen, die weiterentwickelte Ideen haben, die weit über „Gebrauchsmusik“ hinaus gehen. Was heute gemacht wird sind individuelle DIY-Systeme für Kunst und Aufbauten mit Licht und Klang oder Multikanalsystemen durch den Künstler selbst. Es ist eigentlich ein gutes Zeichen und dennoch gibt es eben keine neue Fassung eines „Cray“-Systems für Musik oder Synthese.
Sie nehmen bestehende Computer und bieten es an, aber es ist viel „normaler“ als die Experimental-Synthese-Computer der Siebziger und Achtziger. Es gibt nicht mehr so viele Institute, an denen man offen genug ist, um wirklich so etwas zu bauen. Wohl aber steckt noch immer Kreativität in vielen neuen Entwicklungen.
Real-Digitale Synthesizer gibt es aber heute auch. Die komplette Korg-Syntheseserien, der Minifreak, der Hydrasynth und auch andere wie der Mask1 von Kodamo sind genau das. Aber es kostet keine Horrorsummen und die Ideen sind oft abgehangen. Einige davon sind sogar „recht günstig“, weil es mehr und mehr nicht um reine Rechenkraft geht.
Bei Kyma ist das allerdings noch immer so, wie es „früher“ war, dennoch kann man nicht unendlich an Hardware arbeiten, die auf dem Level von Chipherstellern liegt. Man kann Mehr-Prozessoren-Systeme verwenden. Vielleicht wirkt dadurch ein langzeitlich entwickelter Synthesizer wie der Nonlinear C15 nicht so hochexklusiv, weil es „das ja auch als Reaktor-Ensemble“ gibt?
Die real-digitale Zukunft und Gegenwart
Bei einigen Angeboten von Stefan Bernsee von, damals noch Prosoniq, gab es diese Grenze noch, er zeigte ein System, das sehr schnell sehr erstaunliche Dinge berechnete – aber den mitgebrachten schnellsten iMac an die Grenze brachte. Die Firma gibt es nicht mehr. Dort konnten einzelne Soundelemente aus einem Audiofile herausgerechnet und fein extrahiert werden. Etwas wie das damalige SonicWorx gibt es heute nicht mehr. Die meisten heutigen Angebote wirken eher wie Spiele und weniger wie Real-Digitale Syntheseansätze.
Vielleicht wäre ein aktives WDR Studio für Elektronische Musik (Website) heute ein Lieferant für Ideen, gerade weil es das alles gibt. Solang es nicht in einer reinen Technik-Show versinkt, sondern das musikalische Atom selbst zu bestimmen vermag. Das ist elektronische Musik, der Geist dazu hat keine Grenzen. Ich bin gespannt, ob sich noch einmal so etwas bilden wird?
4 Antworten zu “Real-digital-Synthesizer im Synthesizer-Journal”
Die Synthesizer von Freds Lab, Manatee, Töörö, sind auch Hardware und komplett digital, oder?
Ein wirklich toller Artikel! Ich muss gestehen, dass ich zunächst recherchieren musste, um ihn vollständig zu verstehen. Aber vielen Dank dafür – er hat mein Wissen erweitert, wenn auch nicht musikalisch, so doch technisch. Und darin liegt oft die Krux der Sache: Wie weit schaue ich über den Tellerrand hinaus, und wird meine Musik dadurch besser? Sollte ich mir einfach nur einen DX7 kaufen und sonst nichts, und darauf die nächsten 20 Jahre komponieren und Musik machen? Ich wäre bestimmt einzigartig gut geworden. Konzentrieren statt verzetteln – wo liegt die Grenze? Das Internet bietet uns unendliche Möglichkeiten, uns bis zum St. Nimmerleinstag zu verzetteln. Also frage ich mich einfach selbst vor dem Spiegel: Was willst du? Erkenne dich selbst und werde glücklich.
Ja, sind sie – allerdings waren die kleinen aktuellen eher nur eine Gegenüberstellung zu dem was damals wirklich extrem Hi-End und teuer war.
aber klar – Fred ist cool. Es gibt noch weit mehr „digital“ – auch und grade im Eurorack-Bereich.
Danke wegen der netten Worte – Damals gabs zu einem neuen Synth ggf- ein Handbuch und man musste sich einlernen – plus Synthese lernen.
Musik besser: nun, bei so spannenden neuen Maschinen gab es schon etliche Musiker, die das verwendet haben. Synclavier und Kate Bush, Depeche Mode und Co – und weitere.
Einige haben sich den DX7 geholt, der ja schon die kommerzielle Massenmaschine kaufen konnten – davor war FM nur für exklusive Zielgruppen möglich.
Ich war sehr enttäuscht, als ich den Preis hörte – denn ich war mit dieser Geldmenge nicht ausgestattet. Aber FM hat mich weiter gebracht und es wurde dann eben ein 4OP Synth – und FM als Synthese hat sehr große Rollen in etlichen Stilen gespielt.
Achja – Casios PD Synths und VZ Serie konnte viele Klänge erstellen und der Preis sank.
Aber heute kann man natürlich auch sehr experimentelle Sachen umsetzen – was aber meist eher als App oder Software kommt – als HW sind viele nicht so mutig, bis auf wenige Ausnahmen (siehe Kodamo aus Frankreich) und anderen.