Angecheckt: Harley Benton JA-60CC Shell Pink – eine Budget Jazzmaster?
Ich habe nicht schlecht geschaut, als Harley Benton im Oktober die JA-60CC vorgestellt hat. Vor allem die in Pink Shell hat es mir angetan. Also habe ich angefragt, ob ich mal eine testen kann und ob sie sich trauen, dem Urteil eines überzeugten Jazzmaster-Spielers zu stellen. Ja, war die Antwort. Also, her damit! Ein paar Tage später traf sie dann bei mir ein.
Disclaimer: Harley Benton hat uns die Gitarre unentgeldlich zum Test zur Verfügung gestellt. Das Angecheckt entspricht zu 100% der eigenen Meinung und wird vor der Veröffentlichung nicht von irgendwem außer dem Autor abgesegnet (sonst schreiben wir keine Angecheckts). Es gibt auch kein Geld von Thomann dafür – und die Gitarre muss am Ende wieder zurück.
Harley Benton JA-60CC Shell Pink: Verarbeitung und Hardware
Die Harley Benton JA-60CC ist eine Budget-Gitarre, keine Frage. Sie kostet mit 179 Euro weniger als manche Austausch-Pickups. Oder so viel wie drei Satz hochwertige Basssaiten. Meiner bisherigen Erfahrung nach wird da in der Regel an der Verarbeitung bzw. Endkontrolle gespart. Ich habe wirklich gesucht. Ich kann weder bei der Lackierung irgendwelche Nasen bzw. matten oder durchscheinenden Stellen erkennen (ein 1 cm Kratzer ist gegen das Licht erkennbar), noch ist einer der Bünde tot oder spaltet mir beim Spielen die Hand.
Die Bünde sind sogar bemerkenswert gut abgerichtet bei dem Modell. Einer der Bünde wurde ins Binding hinein repariert, das ist für mich verschmerzbar und auch nur bei genauem Hinsehen erkennbar – sollte aber erwähnt sein. Hals und Griffbrett fühlen sich toll an und sind sauber verarbietet und könnten auch so an einer Fender dran sein – die Block-Inlays als reine Vierecke sind aber nicht so mein Ding. Gut, Binding auch nicht, also „fair enough“.
Zwischenstand: Bünde gut, Hals gut, Lackierung gut, Binding sauber, Hals fühlt sich toll an. Gibt es auch Haken an der Budget Jazzmaster?
Mir fällt auf: Der Hals ist nicht sonderlich gut eingestellt. Es ist zu den oberen Bünden hin eher eine Banane und wirklich flach ist die Saitenlage daher nicht, aber noch im gelben Bereich einer Ampel. Nichts, was ein bisschen Einstellungsarbeit nicht verbessern könnte.
Auch sind die Stock-Saiten für mich zu dünn gewählt. Haue ich zu doll in die Saiten, gibt es ein merkliches Vibrato-Ploing mit aufsteigendem Ton. Kann man mögen, aber für mein Bedürfnis nach einem Allrounder ist das nix. Also müssten andere Saiten drauf. Bei der Gelegenheit bekommt sie eine neue Einstellung vom Hals – die ab Werk würde ich gerade so als brauchbar definieren.
Im Lieferumfang befindet sich ein Inbus-Schlüssel, daher kannst du dich bei Bedarf an der richtigen Halskrümmung versuchen. Allerdings passt der Inbus nicht wirklich gut und erinnert mich eher an den Aufbau eines Möbelstücks eines schwedischen Möbeldiscounters mit falschem Werkzeug. Aber es geht.
Unterschied zur Fender Jazzmaster
Die JA-60CC sieht auf den ersten Blick nach Fender aus. Sicherlich kein Zufall. Gerade bei den wirklich authentisch aussehenden Tonabnehmern, Schlagbrett und Offset-Korpusform ist die JA-60CC sehr sehr nah dran. Allerdings liegt der Unterschied im Detail.
Der Korpus ist generell etwas kleiner. Das fällt auch ins Gewicht, allerdings kommt sie trotzdem nicht gegen meine ungewöhnlich leichte Jazzmaster an. Im Direktvergleich fühlt man es. Der Arm-Rest bzw. die Schräge für den Schlagarm ist weniger rund und insgesamt etwas dicker, was für mich auch etwas unbequemer scheint, aber immer noch tausendmal besser als eine Tele für den Schlagarm ist. Das Schlagbrett ist obenrum etwas anders geformt und es fehlt der zweite „Kanal“ der Jazzmaster, in dem nur der Hals-PU mit anderem Widerstand bei den Reglern aktiv ist und dumpfer, ehh ich meine, wärmer daher kommt.
Und das charakteristische Vibratosystem fehlt auch. Dafür gibt es eine Kombination aus Stoptail und TOM-Style-Bridge, wie man es bei einer Gibson erwarten würde. Für mich geht dadurch etwas Charme verloren und man merkt (hört) es auch beim Spiel: Weniger mitschwingende Obertöne vom Bereich hinter der Bridge. Das muss kein Nachteil sein, für mich aber eines der Argumente für die Jazzmaster. Die JA-60CC geht da eher den straighten Rock-Weg. Das ist okay. Vielleicht auch nur Gewöhnungssache. Die Minzfarbe des Schlagbretts steht der Gitarre außerordentlich gut und passt meiner Ansicht nach hervorragend zu Shell-Pink. Und die Einstellung ist mit der TOM auch bedeutend schneller. Aber wie oft macht man das schon?
Noch ein Wort zu den Tunern: Sie machen ihr Ding. Kommen gut geölt und halten, soweit ich das beurteilen kann, die Stimmung gut. Es sind No-Name-Tuner, aber immerhin einzelne, klassisch mit geschlossener Mechanik und mit Saite zum Reinstecken, nicht durchziehen – wie beim Vorbild auch. Auch sonst kann ich bei der Hardware nicht meckern. Sie macht einen guten Eindruck, die Regler drehen gut und nicht zu leicht oder zu schwer, die Kappen sind okay. Der PU-Wahlschalter ist etwas hart, dafür hält er die Positionen bei versehentlichen Berührungen besser als das Teil an meiner Fender.
Klingen die Pickups gut?
Vermutlich für viele die Frage der Fragen: Klingen die Rosswell Tonabnehmer wie Jazzmaster-Tonabnehmer?
Ehrliche Meinung? Keine Ahnung.
Dazu müsste ich sie A/B tauschen. Ich möchte aber nicht daran herumschrauben oder löten. Für mein Empfinden machen sie ihre Sache okay. Wirkliche Top-Pickups sind sie nicht. Aber ich habe auch schon echt richtig schlechte Stock-Jazzmaster-Tonabnehmer gespielt – ich meine es war irgend eine Squier. Würden meiner Erfahrung nach alle direkt rausfliegen. Da liegen die Rosswells für mich gleichauf. An meine American Vintage 65 Pickups in meiner Jazzmaster kommen sie aber nicht heran. Die Roswell Pickups haben mehr Bässe, einen Hauch mehr Höhen, weniger Mitten und etwas mehr Output. Ob das aber nun nur an den Tonabnehmern liegt oder der Konstellation mit anderen Saiten und andern Hölzern, weniger Body-Masse … alles möglich. Vielleicht ist es auch nur Einbildung, weil teurere Hardware besser klingen muss?
Nun, die DAW und mein Analyzer bestätigen mich. Ganz kaputt sind meine Ohren also doch noch nicht.
Wer DEN eher dünnen Jazzmaster-Knall sucht, sollte vielleicht ein paar andere Tonabnehmer mit einplanen. Vorher aber bitte erst einmal ausprobieren. Nicht alles glauben, was man im Netz liest. Schlussendlich sind wir alle verschieden. Glaube ich. Sie tun auf jeden Fall ihren Job okay.
An der Stelle noch einmal ein Shout-Out (sagt man doch mittlerweile so?) an die Potis: Die drehen nicht nur gut, sondern greifen auch richtig gut. Vor allem ist der Höhenverlust am Volume nicht so krass wie an meiner JM – zwar nicht wie mit Treble-Bleed, aber für mich sogar besser als beim Vorbild, weil sinnvoll nutzbar.
Ist die Harley Benton JA-60CC eine Budget Jazzmaster?
Ja und nein. Wer die reine Optik sucht, wird hier fündig. Die Verarbeitung stimmt, die Optik irgendwie auch (von der Headstock-Form abgesehen) – und mit ein paar kleinen Verbesserungen kommt mindestens eine vernünftige E-Gitarre raus. Vielleicht kein direkter Ersatz für eine Fender Jazzmaster, vielleicht aber eine etwas andere Alternative. Ich würde sie mindestens gegen eine Player-Jazzmaster gegenspielen und dann entscheiden. Vor allem, wenn man eher die Optik sucht, nicht aber das Vibratosystem.
Du solltest nie vergessen: Die kostet 179 Euro.* Da kann die Harley Benton JA-60CC gegenüber meiner über 1000 Euro teureren Jazzmaster ruhig ein paar Abstriche machen. Meine Meinung.
Und auch wenn wieder die „deine Meinung ist doch bezahlt“-Nörgler um die Ecke kommen werden, wenn ich sage, dass ich es amtlich finde, was hier für kleines Geld an Qualität geboten wird: Niemand muss sie kaufen. Würde ich sie kaufen? Vermutlich nicht. Aber ich würde sie (Offset-) Neulingen empfehlen. Ein grundsolides Werkzeug, das hier und da vielleicht noch etwas Liebe braucht.
Wenn du für deine erste oder nächste E-Gitarre wenig Geld ausgeben möchtest (oder kannst), dann solltest du sie mindestens einmal anspielen gehen. Über die Jazzmaster-PU-Optik im Zusammenspiel mit dem Body geht eh nix. 8-)
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3 Antworten zu “Angecheckt: Harley Benton JA-60CC Shell Pink – eine Budget Jazzmaster?”
Die HB Jazzmaster Fälschung ist klasse! Der Preis Betrug 2016 129€, tja heute sind das 50€ mehr. Ich habe mir das Modell gekauft, auf dem Gebrauchtmarkt und siehe da, nix Inflation, dafür Deflation und 80€ sind weniger als die Hälfte des neupreises. Vergiss dass das Modell beschtimmt heruntergeschrubbt sei, nein, das ganze Gitarrenspiel hat beim Verkäufer nicht gefruchtet und so stand das Teil nur rum, bis ich kam! Und schon wieder eine Gitarre mehr im Haus 🤣🤣🤣
Eine Fälschung wäre es, wenn HB statt dem eigenen Label nur Fender Jazzmaster drauf schreiben würde. Sie gibt aber nicht vor, eine Jazzmaster zu sein, sonst wären alle Single Cuts LP-Fälschungen.
Okay, dann eben ein Nachbau, Clone oder Inspiration. Aber im Prinzip weiß man es normalerweise schon wie ich das gemeint habe. Ich finde es gut dass Harry Benton Alternativen anbietet,denn ohne Billigheimer gäbs nur ein paar Musiker.