Angecheckt: 1010music nanobox lemondrop – Granularsynthesizer im Test
Das ging schnell: Nur eine Woche nach der Ankündigung liegt die 1010music nanobox lemondrop auf meinem Studiotisch und ich darf den granularen Synthesizer testen. Was kann der quietschgelbe Synth im Taschenformat – und ist er seinen Preis wert?
1010music nanobox lemondrop im Test
Erst vor gut einer Woche hatte der britische Hersteller 1010music die neue nanobox-Serie vorgestellt. Zwei ebenso winzige wie farbenfrohe Synthesizer, einer mit granularer Synthese (lemondrop) und einer mit Wavetables (fireball). Den roten fireball hat 1010music uns auch geschickt; besonders spannend finde ich aber den lemondrop. Deshalb kommt er zuerst dran und darf im Angecheckt beweisen, was in ihm steckt.
Aus seiner Schachtel befreit, macht der kleine Synthesizer einen überraschend robusten Eindruck. Das knallgelbe Kunststoffgehäuse fühlt sich sehr stabil an und ruht auf vier großen Gummifüßen, sodass der Synthesizer für ein so kleines und leichtes Gerät erstaunlich sicher auf dem Tisch steht. Das ist auch wichtig, denn die beiden griffigen Endlos-Drehregler bieten einen recht festen Drehwiderstand. So kann man beim Scrollen durch die Menüs und Werte relativ präzise damit arbeiten. Man hat zum Glück überhaupt nicht das Gefühl, dass die nanobox lemondrop beim ersten Transport im Rucksack sofort kaputt gehen würde, was schon mal eine positive Überraschung ist.
Zum großen Teil wird der Synthesizer über den hellen und recht fein auflösenden Touchscreen bedient, weshalb die Zahl der Hardware-Bedienelemente begrenzt ist. Außer den beiden Encodern gibt es vier beleuchtete Drucktaster. Einer davon ist passenderweise mit einem Haus bedruckt und bringt einen immer zum Hauptbildschirm zurück. Der zweite Button dient zum Wechsel zwischen den verschiedenen Elementen der Klangerzeugung in den jeweiligen Untermenüs; beispielsweise kann man damit zwischen Envelope 1 und 2 oder zwischen Filter 1 und 2 hin und her springen. Dann gibt es noch zwei selbsterklärende Pfeiltasten zur Navigation und das war es auch schon.
Anschlüsse
Auf der Rückseite des kleinen Kästchens findet man einen Slot für die mitgelieferte microSD-Karte, die alle Daten wie WAV-Files, Presets und die Firmware des Synthesizers enthält. Hierüber ist es auch möglich, eigene Sounddateien in den nanobox lemondrop zu laden, um sie als Ausgangsmaterial für die Granularsynthese zu nutzen. Außerdem gibt es fünf Miniklinkenbuchsen: Line In und Out, Clock In sowie MIDI In und Out (TRS-MIDI Typ A und Typ B werden unterstützt, ein Adapter auf DIN liegt bei).
Daneben befindet sich der USB-C-Anschluss zur Stromversorgung; ein Kabel auf USB-A (ebenfalls knallgelb) wird mitgeliefert. Zu meiner großen Verwunderung unterstützt die nanobox lemondrop nach jetzigem Stand der Dinge aber kein USB-MIDI. Die Miniklinkenbuchsen sind der einzige Weg, den Synthesizer extern anzusteuern. Obwohl ich eigentlich überhaupt kein Fan von MIDI über USB bin, ist das doch etwas schade: Man braucht immer ein zusätzliches Kabel und ggf. ein MIDI-Interface. Gerade bei einem Synthesizer, den man überall hin mitnehmen kann, wäre es schon toll, ihn einfach per USB an den Laptop anschließen und loslegen zu können.
Der USB-Port dient also nur zur Stromversorgung. Und die sollte möglichst über ein USB-Netzteil erfolgen: Die Verbindung mit einem USB-Port meines iMac (über das mitgelieferte Kabel) quittierte der lemondrop mit stark störenden Brummgeräuschen. Hier gäbe es definitiv noch Spielraum für Verbesserungen.
Erster Eindruck
So, Stromversorgung und MIDI-Input sind geklärt – wie klingt der lemondrop? Ein erstes Blättern durch die zahlreichen Presets bringt viele Sounds hervor, denen man ihren granularen Ursprung sofort anhört. Sphärische Pads mit viel Bewegung, außergewöhnliche Texturen, Perkussives, Glockiges, Spaciges – viele Sounds des lemondrop sind eher ganze Klangwelten, in die man tief eintauchen kann. Typisch für einen Granularsynthesizer: Besonders interessant und eigenständig sind die vielen Klänge, bei denen man das Ausgangsmaterial durchaus noch erahnen kann. Aus Gitarren-, Flöten-, Chor- oder Percussion-Samples entstehen neue Sounds, die mit dem ursprünglichen Klang zwar nur noch wenig zu tun haben, aber dennoch dessen organischen Charakter mitbringen.
Was man aber auch sagen muss: Bei vielen der Presets passiert so viel, dass die Sounds einzeln toll klingen, aber eine Menge Platz für sich beanspruchen und deshalb nicht ganz so einfach in einen Track zu integrieren sind. Der lemondrop ist eher kein Synthesizer, dem man auf Knopfdruck die passende Fläche oder den richtigen Lead-Sound für eine Produktion entlockt. Geht es jedoch darum, sich von Sounds inspirieren zu lassen und eine Komposition auch ein Stück weit um einen bestimmten Sound herum aufzubauen, dann liefert er jede Menge Material für kreative Sessions.
Außerdem hat man jederzeit die Möglichkeit, sich mit den über 300 mitgelieferten WAV-Files nicht zufrieden zu geben und eigenes Material auf die SD-Karte zu laden. Und dann sind der Experimentierfreude natürlich kaum Grenzen gesetzt. Von auf der SD-Karte abgelegten User-Waves lädt der Synthesizer die ersten 30 Sekunden. Aus diesen kann man dann mit den beiden Granular-Engines das Ausgangsmaterial für neue Sounds gewinnen.
Klangerzeugung
Ein Sound des nanodrop besteht aus bis zu drei Elementen: zwei Grain-Oszillatoren und einem Standard-Oszillator mit den Schwingungsformen Sägezahn, Dreieck, Rechteck, Sinus und Rauschen. Letzterer dient vor allem dazu, Sounds eine zusätzliche, unterstützende Komponente beizumischen. Spannend sind vor allem die beiden Granulatoren.
Hier kann man mit einer großen Zahl von Parametern Einfluss darauf nehmen, welche Schnipsel der Synthesizer aus den geladenen WAV-Files extrahiert und wie diese miteinander zu neuen Sounds verwoben werden. Natürlich ist die Grain-Größe einstellbar und man kann die Häufigkeit bzw. Dichte von Grains bestimmen, entweder zufällig oder zur Clock synchronisiert. Ein Jitter-Parameter fügt auf Wunsch Ungenauigkeiten hinzu. Die Abspielposition kann entweder auf einen bestimmten Punkt innerhalb der Datei gesetzt werden oder diese mit einem einstellbaren Tempo und in verschiedenen Loop-Modi durchfahren; außerdem lässt sich ein „Fenster“ definieren, in dem links und rechts der aktuellen Abspielposition Grains selektiert werden.
Das ist schon eine ganze Menge, aber 1010music hatte noch einige weitere gute Ideen. So gibt es den Parameter „Preserve Attack“, der dafür sorgt, dass für die Attack-Phase von Tönen stets Grains vom Anfang der WAV-Datei gewählt werden. So lassen sich prägnante Attacks bewahren (beispielsweise bei perkussivem Ausgangsmaterial). Außerdem können Grains zufällig im Stereobild verteilt werden, wodurch sehr räumliche Klänge entstehen, und es gibt einen zufälligen Detune-Parameter für Grains.
Besonders interessant ist darüber hinaus die Live-Input-Option. Der nanobox lemondrop kann nämlich nicht nur WAV-Files als Ausgangsmaterial für die granulare Synthese nutzen. Auch ein über den Line-Eingang zugeführtes Signal lässt sich in Echtzeit durch den granularen Wolf drehen. Das eröffnet viele kreative Möglichkeiten für Performances, aber auch als Effektgerät im Studio.
Filter und Modulation
Die weitere Klangformung besteht aus je zwei Filtern, Hüllkurven und LFOs, einem Modulationssequenzer und zwei Effektprozessoren. Die beiden Filter lassen sich als Tiefpass, Hochpass, Bandpass und Bandsperre betreiben und können parallel oder seriell angeordnet werden. Die Filterkurve wird auf dem Touchscreen dargestellt und lässt sich dort auch intuitiv bearbeiten; man kann also mit dem Finger Cutoff und Resonance gleichzeitig steuern. Sehr schön!
Für Modulationen sind neben den beiden ADSR-Envelopes die LFOs zuständig, die sich auf Wunsch zur Clock synchronisieren lassen und neun verschiedene Schwingungsformen liefern. Neben bipolaren Schwingungen sind auch einige unipolare Varianten verfügbar.
Das Highlight unter den Modulatoren des lemondrop ist aber der Modulationssequenzer mit bis zu 32 Steps. Er ist per Touchscreen editierbar: Man kann per Fingerstreich neue Patterns „malen“ und Modulationskurven erzeugen. In Verbindung mit den vielen verfügbaren Modulationszielen der Granular-Engine eröffnen sich hier sehr weitreichende Möglichkeiten für rhythmische Modulationen. Durch eine Option zur Quantisierung der ausgegebenen Werte eignet er sich auch zur Steuerung der Tonhöhe.
Nicht alle Parameter der Klangerzeugung lassen sich modulieren, aber doch die meisten. Neben vielen Parametern der Granulatoren des Oszillators und der Filter können auch einige Effektparameter und die Envelopes und LFOs selbst Modulationsziele sein. Die Zuweisung ist einfach: Wo sich etwas modulieren lässt, sieht man drei kleine Quadrate auf dem Screen. Mit dem Pfeil nach rechts kommt man zur Zuweisung, wo sich die drei möglichen Modulationsquellen mit den Encodern einrichten lassen. Neben den internen Quellen können auch Velocity, Aftertouch, MIDI-Note und beliebige MIDI-CCs als Quellen genutzt werden.
Effekte
Zwei seriell angeordnete Effektprozessoren runden den lemondrop ab. In Block 1 kann man zwischen Flanger+Distortion, Chorus und Phaser wählen; Block 2 liefert entweder Delay oder Reverb. Viele Effektparameter sind modulierbar, wodurch die Effekte sich kreativ in die Klangerzeugung einbinden lassen.
Neben den internen Sounds lässt sich auch das Eingangssignal vom Line-Input durch die Effekte schicken. So eignet sich der lemondrop auch als Effektprozessor für externe Signale.
Bedienung
Die Kombination aus Touchscreen und den Encodern und Buttons finde ich insgesamt gut gelöst. Der Screen reagiert präzise und schnell und trotz der relativ kleinen Größe trifft man meistens das, was man treffen möchte.
Zum Schrauben an den Parametern der Klangerzeugung berührt man entweder eines der beiden WAV-Files, um zu den Granulatoren und dem Oszillator zu gelangen, oder eines der Felder für Filter, Envelopes, LFO/Sequencer und Effekte. Dann kann man mit dem oberen Encoder durch die verfügbaren Parameter scrollen und sie mit dem unteren einstellen. Mit dem Layer-Button wählt man zwischen den verschiedenen Oszillatoren, Filtern usw.; mit dem Home-Button geht es zurück zur Startansicht. Das hat man schnell drauf und dann geht die Bedienung trotz der Mini-Größe flüssig von der Hand.
Mit einem Tastendruck lässt sich eine Grid-Tastatur mit wählbarer Tonleiter aufrufen, die von anderen Geräten von 1010music wie der Blackbox bekannt ist. Sie ermöglicht es, den Synthesizer auch ohne ein angeschlossenes MIDI-Keyboard zu spielen – praktisch für unterwegs. Drei Oktaven sind gleichzeitig im Zugriff, was für einen so kleinen Screen schon beachtlich ist.
Darüber hinaus gibt es ein X/Y-Pad, mit dem man mehrere Parameter gleichzeitig mit einem Finger steuern kann. Das Touchpad kann wie alle anderen Modulationsquellen verschiedenen Zielen zugewiesen werden und lässt sich auch per MIDI steuern. Da per Encoder ansonsten immer nur ein Parameter zurzeit regelbar ist, ist das X/Y-Pad eine sehr willkommene Möglichkeit zur intuitiven Echtzeitkontrolle über mehrere Parameter.
Fazit
Mit der nanobox lemondrop hat 1010music einen sehr interessanten Granularsynthesizer im Miniaturformat entwickelt – nicht nur fürs Reisegepäck. Außen ultrakompakt und quietschgelb, überrascht er innen mit vielen Möglichkeiten und guten Ideen. Dank des Modulationssequenzers, der Touchscreen-Steuerung inkl. X/Y-Pad und der umfangreichen MIDI-Implementation kann man aus den beiden Granulatoren und den vielen mitgelieferten Audiofiles eine große Bandbreite interessanter und eigenständiger Sounds herausholen. Da der lemondrop auch User-Waves laden und sogar das Line-Eingangssignal in Echtzeit für die Granularsynthese nutzen kann, reichen die kreativen Möglichkeiten sehr weit. Weniger überzeugend sind das Fehlen von USB-MIDI sowie der Preis, der mit knapp 400 Euro für einen kleinen Taschen-Synthesizer recht ambitioniert ausfällt.
Preis und Verfügbarkeit
Den 1010music nanobox lemondrop bekommt ihr hier bei Thomann (Affiliate).
Mehr Infos zum 1010music nanobox lemondrop
Videos
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Eine Antwort zu “Angecheckt: 1010music nanobox lemondrop – Granularsynthesizer im Test”
Danke für den Test!
Ich habe erst echt aufgehorcht als ich von den beiden „Nanoboxen“ gehört habe. Aber dann habe ich gesehen, wie winzig die tatsächlich sind und frage mich, ob das wirklich noch ein Vorteil ist. Ich finde Korg hat mit seinen Volcas die Untergrenze für Geräte, die transportabel, aber trotzdem vielseitig sein sollen, ganz gut gefunden. Warum jetzt noch viel kleiner? Ich hätte vor allem den gelben vermutlich direkt gekauft, wenn er doppelt so groß (was immernoch klein ist) und dafür nur ca. 2/3 so teuer wäre.