Angecheckt: Native Instruments Guitar Rig 6 Pro
Seit etlichen Jahren ist Guitar Rig die Instanz und Empfehlung für tolle Gitarrenamps und Effekte in der DAW. Sogar auf der Bühne verwenden es wohl einige Gitarristen und Bassisten, die meisten wohl aber im (Home-) Studio. Irgendwann hat Native Instruments die Entwicklung schleifen lassen und Hersteller wie Positive Grid und IK Multimedia sind mit ihrem Emulationspaketen technisch vorbeigezogen.
Guitar Rig – kurze Historie
2004 kam die erste Version als Plug-in auf den Markt und hat seitdem eigentlich auf jedem besseren System auf dem einen oder anderen Weg seinen Einzug gefunden. Vor allem optisch hat sich seit der ersten Major-Version Guitar Rig 1 eigentlich sehr wenig getan. Und selbst mit der letzten Guitar Rig 5 Version konnte man noch immer nicht das Fenster oder die Grafiken skalieren. Ich hatte sogar gedacht, dass Guitar Rig dahinsiechend dem Tode geweiht sei, schließlich gab es 2016 das letzte echte Update und Legacy Produkte werden nach und nach abgestellt … bis Native Instruments dann schlussendlich 2020 mit dem neuen Komplete 13 auch Guitar Rig 6 vorgestellt hat.
Nicht nur in mir keimte die Hoffnung auf ein Revival. Also: installiert und ausprobiert. Der Vorteil als Pressemensch: Ich kann es kostenlos und längere Zeit als die Demozeit testen. Meine Erfahrungen mit GR6 sind allerdings durchwachsen.
Guitar Rig 6 Pro
Das Major-Update umfasst nicht nur eine neue Nummer und aktualisierte Grafiken wie die letzten Updates zuvor. Vielmehr wurde alles in dem modernen Stil von NI angepasst, alles ist flach, die Regler von „alten“ Effekten und Amps wurden umsortiert – abgesehen vom ähnlichen Aufbau ist es optisch sehr anders. Ob das nun gefällt oder nicht, ist Geschmackssache. Ich persönlich finde es zu groß dimensioniert und trotz der klaren Linien und Farben haben die Effekte und Amps irgendwie ihren Charakter verloren. Das würde ich aber vielleicht der Gewöhnung aus 16 Jahren GR1-5 zuschreiben und nicht per se als Nachteil darstellen wollen. Immerhin kann das Plug-in-Fenster nun zwischen 75 % und einem Vielfachen für High-DPI-Screens vergrößert werden. (Nicht mit freier Skalierbarkeit verwechseln, dazu später aber mehr.)
Haptik
Mit der neuen Optik wird auch die Bedienung verändert. Grundlegend ist es gleich aufgebaut: Rechts das Rack, links der Pool. Der Pool ist aber nun nicht mehr mit Vorschaubildern gespickt, sondern mit einem Schriftzug im Stil des Effekts und verliert dabei massiv an Übersicht auf einen Blick.
Presets und Komponenten lassen sich immer noch über einen Reiter umschalten, sind dann aber nicht mehr in Dropdowns aufgebaut, sondern werden über vorgegebene Tags angewählt, die man auch mit einem zusätzlichen Tastendruck zusammen auswählen kann, z. B. Delay und Reverb gleichzeitig. Ganz unten in der linken Spalte gibt es dann die über die Tags ausgewählten Presets. Eventuell umständlicher, vielleicht aber auch nur Gewöhnungssache. Für mich ging es nach einer Woche Nutzung gut von der Hand.
Fast schon eklatant finde ich aber, dass sich das GUI immer noch nicht frei skalieren lässt. Zwar gibt es nun eeeendlich einen Knopf, mit dem ich das Fenster nach unten stufenweise erweitern kann und wie oben erwähnt den Zoom-Level des gesamten Fensters in festen Schritten … das war’s dann auch schon. An einer Ecke groß oder klein ziehen und im Idealfall skalieren die Komponenten mit – nope. Für das Jahr 2020 doch sehr dürftig und technisch vermutlich mein größter Kritikpunkt. Skalierbares GUI gibt es ja schon seit gefühlt 1000 Jahren – daher frage ich mich, ob hier wirklich auch mal der Unterboden angefasst oder nur mal schnell drübergebügelt wurde, damit der Anschein modern und flach wie die anderen Produkte von NI wirkt?! Aber: Mehr als in GR5 ist es allemal.
Anderer Sound
Auch klanglich hat sich etwas getan. Vergleicht man die identisch benannten und bekannten Presets aus GR5 mit denen in GR6, klingt GR6 immer etwas anders. Mehr Höhen, zuweilen harscher, etwas direkter und klarer. Auch der Bassbereich scheint etwas sauberer abgebildet zu sein. Daher würde ich niemals GR6 alleine für alte Projekte als GR5-Ersatz empfehlen – sofern du das brauchst. Wenn du wie ich eher GR als Plug-in nutzt und das Ergebnis direkt rausrechnest, damit es als Stem für die Band verfügbar ist, dann ist es egal. Alte Projekte müsstest du dann vermutlich noch mal etwas mehr anfassen.
Der Grund für den anderen Sound: Intelligent Circuit Modeling oder kurz ICM. Mittels maschinellem Lernen sollen hier Schaltungen authentisch abgebildet werden können. Ob das nun ausschlaggebend für den anderen Sound ist oder andere IRs bei den Matched Cabs, kann ich nicht sagen.
Neue Projekte würde ich immer mit GR6 starten, verstehe aber, wenn du keinen echten Grund für ein Update siehst. Im Direktvergleich finde ich die GR5-Sounds etwas flacher und bin froh über die neue Version.
Neue Effekte und Amps
Natürlich gehört es sich für eine Major-Version, neue Amps und Effekte mit reinzupacken. Und ich muss sagen: Die sind echt gut. Der Bass Invader ergänzt (anscheinend) als „SVT Classic“ den Bass Pro (SVT3 Pro) gut und reduziert das Reglervolumen durch den fehlenden grafischen EQ auf ein sinnvolles Minimum. Klanglich hat aber vor allem der Bass Pro dazugewonnen und klingt nun richtig schön und vor allem im „natürlichen“ Zerrbereich richtig schmatzig. Allerdings kann aus meiner Sicht in Richtung Bass gerne in Sachen Amps und Effekte noch mehr passieren, schließlich besteht diese Welt nicht nur aus Ampeg und Gitarreneffekten. Der Fire Breather als Friedman „Clone“ ist einfach nur gut und auch der Chicago ist absolut brauchbar – und alle drei basieren auf der neuen ICM-Technik. Auch neue Impulsantworten und Effekte sind dabei.
Die meisten Komplete-Nutzer kennen die vermutlich schon als VST/AU-Plug-ins, jetzt eben auch in Guitar Rig integriert. Gibt Schlechteres, eine eigene Plug-in-Umgebung oder sogar VST-Support fände ich noch eine Ecke cooler, aber ist auf der anderen Seite auch sehr viel verlangt. Das wird man ja wohl noch mal träumen dürfen! Aber vielleicht liest NI ja mit und die neuen Anteilseigner geben genau für diesen Input etwas Geld?
Leider gibt es außer über Reflektor immer noch keine simple Möglichkeit, eigene IRs einzubauen. Neben der Bassamp-Alternative war das mein großer Wunsch. Sonst hat NI versprochen, mit der Community neue Sachen zu entwickeln und einzubinden. Es scheint also so, als soll es nicht mehr jahrelang schleifen. Kudos!
Fazit
In Sachen Stabilität und Klang bin ich von Native Instruments Guitar Rig 6 vollends überzeugt. Die Amps klingen besser und ich hatte in den Monaten seit Release keine Probleme mit Win 10, auch wenn die CPU-Last nach oben gegangen ist. Unter Linux bleibe ich mangels nativem Support (oder stabilem Umweg über WINE) bei Guitarix. NI würde hier auf fruchtbaren Boden fallen. (hint! hint!)
Wäre die GUI endlich mal wirklich sinnvoll skalierbar und die Grafiken im Pool (und irgendwie auch im Rack) nicht zwischen austauschbar und irgendwie lieblos modern, würde mich Guitar Rig 6 wirklich überzeugen. Es gibt nur wenige wirkliche Gurken als Amps oder Effekte. Die GUI-Vorschau aus den Vorgängern finde ich auch jetzt noch besser. Die Bedienung des Pools ist aber doch sehr flüssig und besser. Und auch das automatisch einstellbare Gate ist eine sinnvolle Verbesserung.
Mit BIAS FX, BIAS Amp und Amplitube komme ich persönlich nicht so komfortabel ins Ziel, beide wirken aber auf mich technisch moderner, allein durch die Skalierbarkeit und weniger wie ein rein optischer Aufguss.
Allerdings bekommst du Guitar Rig 6 Pro für 199 Euro ohne weitere Extrakosten und In App Käufe. Das ist echt gut für den Umfang und weniger als bei der Konkurrenz in vollem Umfang. Das Update von GR5 kostet 99 Euro. Leider nagelst du dir damit den hauseigenen NI-Installer ans Knie, ob es dich stört oder nicht.
Darüber hinaus ist GR6 auch in NI Komplete enthalten:
Videos
https://www.youtube.com/watch?v=jzx_ZtAAOW8
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8 Antworten zu “Angecheckt: Native Instruments Guitar Rig 6 Pro”
Sehr cooles Review, genau so muss es sein! Ich bin auf einem ähnlichen Zug, dass GR nicht mein primäre Amp-Sim ist, da Bias und Overloud meistens doch besser klingen. Aber GR hat sehr schöne Effekte. Für das Update auf GR6 reicht es bei mir dann aber nicht, du hast die Punkte gut beschrieben und ein Major-Update sieht ganz klar anders aus.
Danke. :)
Im Zweifel kannst du ja immer die Demo ausprobieren und mal gegen die anderen mit deinem Setup testen.
Ich überlege mir NI Komplete zu kaufen. Da ist ja der GR mit drin, aber was ist gegen den hauseigenen NI-Installer zu sagen. Gibt es damit Probleme?
Also ich habe da noch nie Probleme mit gehabt und finde ihn im Grunde sogar sehr praktisch für Updates.
Technische Probleme hatte ich auch nie. Jedoch finde ich derlei Installer als ziemlich grausamen Software-Ballast. Wer eh im Komplete-Universum daheim ist, findet das vermutlich gut. Wer nur ein Plug-in daraus nutzt oder gekauft hat, muss es dennoch installieren.
Leider tuts allerdings der RigKontrol 3 nicht (mehr) am GR6. Das ist für mich ein GameChanger: ich hab jetzt den Helix LT…
Mich stört am GR6 massiv, dass tagged browsing wie auch die live-Option weg fallen, die von vielen Musikern mit der 5er Version auf der Bühne genutzt wurde. Jetzt muss ich mir für jedes Set und jeden Song die Effekte auf nen Zettel schreiben und von Hand zu Fuß suchen auf der Bühne. Danke NI!
Mag sein das der Klang besser geworden. Aber das mit dem Programm Change ist Müll. Das war im GR5 schon nicht optimal gelöst aber GR6 ist das ganz schlecht. Die Standalone Version von GR6 macht keinen Sinn, Für den Liveeinsatz ungeeignet. Auch der NI Footshwitch (Name Vergessen) wird nicht mehr unterstützt. NI lässt schwer nach. Eine Schotte nach der anderen. Ich kaufe vorerst von denen nichts mehr.
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