20 Jahre American Idiot – Green Day und meine Liebe zu Punk
Das Jubiläum von Green Days Konzeptalbum
„Don’t wanna be an American Idiot“ – wann hätte dieser Satz je besser gepasst als heute? Wie so oft hat auch dieses Jubiläum mich kalt erwischt: Zwanzig Jahre ist das „neue Album“ von Green Day mittlerweile alt. Es ist schon das zweite große Jubiläum für die drei Jungs aus Kalifornien: Im Januar wurde „Dookie“ bereits 30 Jahre alt.
Ursprünglich als Nachfolger des großartigen „Warning“ auf den Markt gebracht, ist American Idiot bis heute das wohl bekannteste Album der Band und wurde bereits als Musical adaptiert. Und auch ich verbinde mit American Idiot eine ganze Menge. Grund genug, einmal näher auf das Album zu schauen, dass Green Day einer großen, ganz großen internationalen Öffentlichkeit bekannt gemacht hat.
20 Jahre American Idiot – Inhalt
Rückblende: Der musikalische Kontext von 2004
Während ich 2004 meine ersten Erfahrungen als Gitarrist in einer (maximal mittelguten) Band sammelte, befand sich die Musikindustrie in einem Zustand des Wandels. Der Nu-Metal-Hype, angeführt von Bands wie Linkin Park und Limp Bizkit, ebbte ab und Indie- und Garage-Rock erlebten eine eine Renaissance. Bands wie The Strokes und The White Stripes dominierten die Rock-Charts. Die Punk-Rock-Welle, die Green Day in den 90ern mit Alben wie Dookie angestoßen hatte, schien sich langsam in Luft aufzulösen — ganz zu meinem persönlichen Leidwesen.
In diesem Kontext kam mit American Idiot ein Konzeptalbum raus, das nicht nur das Schicksal der Band, sondern auch den Verlauf der modernen Rockmusik und meine persönliche Biografie nachhaltig beeinflussen sollte — Alsterdorfer Sporthalle im Januar 2005.
Der Werdegang von American Idiot
Bevor American Idiot veröffentlicht wurde, stand die Band an einem musikalischen und personellen Scheideweg. Ihr vorheriges Album, Warning (2000), konnte den kommerziellen Erfolg von Dookie und Nimrod nicht wiederholen, und es gab Spekulationen, ob Green Day ihren Zenit bereits überschritten hatten.
Als auch noch die Aufnahmen zum geplanten Nachfolger, Cigarettes and Valentines, verschwanden, entschied sich die Band, musikalisch einen neuen Weg einzuschlagen: American Idiot war kein reines Punk-Album, sondern eine (Punk-) Rock-Oper, inspiriert von Quadrophenia von The Who.
Ob die Tapes des ursprünglichen Projekts nun tatsächlich gestohlen wurden, verschwunden sind oder von der Band kluger Weise zurückgehalten wurden — Schwamm drüber. Wichtig bleibt, dass die Präsidentschaft von George W. Bush genug Feuer für einen kritischen Blick auf die Welt bot.
Eine Punk-Rock-Oper voller Gesellschaftskritik
Das gesellschaftskritische Thema des Album passte dabei perfekt in die Zeit: Die Band wagte es, politische Statements zu setzen und sich gesellschaftskritischen Themen wie Krieg und Massenmedien zu widmen. Das Album schlug damit in eine Zeit, in der der Irakkrieg und die US-Präsidentschaft von George W. Bush das politische Klima dominierten, wie eine Bombe ein.
Es wurde so schnell zum Soundtrack des Protests, egal, ob gegen die große Weltpolitik oder die eigenen Erziehungsberechtigten. Wir Gitarristen fanden in Billie Joe Armstrongs kraftvollen, eingängigen Riffs einen Ausdruck dieser Rebellion – sein unverkennbarer Sound, seine Bühnenpräsenz und die unnachahmliche Rotzigkeit der Performance wurden zum Markenzeichen des Albums.
Mit American Idiot schaffte es Green Day, sowohl musikalisch als auch kulturell den Nerv der Zeit zu treffen und sich als Band neu zu erfinden. Die gewagte Entscheidung, sich mit einem Konzeptalbum von den typischen 2-Minuten-Punk-Songs zu entfernen, zahlte sich aus und markierte den Beginn einer neuen Ära in der Rockmusik.
Der Sound von American Idiot: (M)Ein Gitarristen-Traum
Ich gebe zu, ich hatte damals eine ausgeprägte Green-Day-Phase: Les Paul Junior, P90s, Boss-DS1 Pedal waren ein Muss. Doch was aus heutiger Sicht ein echter Fanboy-Move war, könnte musikalisch und klanglich nicht besser zum Sound der Kalifornier passen.
Neben den obligatorischen LPJs ist vor allem die Amp-Auswahl auf „American Idiot“ wegweisend für alle folgenden Green Day Alben. Ganz oben auf der Liste steht natürlich der „Idiot Amp”, ein modifizierter Marshall Verstärker mit einer zusätzlichen Portion Gain. Daneben verwendete Armstrong auch einen 50-Watt Park 75 mit einer speziellen „Dookie“-Modifikation, um die Vielseitigkeit seines Sounds zu erweitern.
Seine Herangehensweise an das Gitarrenspiel auf diesem Album war anders als zuvor: Während frühere Green-Day-Alben eher auf kurze, schnelle Songs mit einfachen Powerchords setzten, erlaubte sich Armstrong auf American Idiot komplexere Strukturen und sogar (!) Soli. Die Vielfalt der Gitarrenklänge reichte von punkigen, dreckigen Riffs bis hin zu fast hymnenhaften Momenten in Songs wie „Boulevard of Broken Dreams“.
Was muss jetzt kommen? Richtig:
Der American Idiot Sound für dein Setup
- Gain-Einstellungen: Vermeidet zu viel Gain. Billie Joe Armstrong nutzt nicht übermäßig viel Verzerrung, sondern setzt auf einen mittleren Gain-Pegel, der den Gitarrensound definiert, ohne ihn zu überladen. Besonders bei Gitarren mit Humbuckern, sollte man aufpassen, nicht zu viel Gain zu verwenden. Testet stattdessen verschiedene Verzerrungskanäle eurer Verstärker. Für Solo-Parts sind Experimente mit einem Overdrive-Pedal wie dem Boss Blues Driver zielführend.
- Spieltechnik: Ein großer Teil des „Punch“ im Sound von Green Day kommt von der Schlaghand. Grundregel für alle Punk-Songs: Ihr solltet so fest wie möglich anschlagen, ohne dabei die Saiten zu verstimmen. Armstrong verwendet dabei oft zusätzlich den seitlichen Daumen zusätzlich zum Plektrum. Ob aus Gründen der natürlichen Plek-Haltung oder um den Sound zu verstärken, müsst ihr selbst ausprobieren.
- EQ-Einstellungen: Eine gute Ausgangsbasis für die EQ-Einstellungen des Verstärkers ist es, alle Regler auf etwa 5 zu setzen. Wer wie BJA eine Gitarre mit heißen P90-Tonabnehmern nutzt, könnte die Mitten etwas reduzieren (auf 3-4) und dafür Höhen und Bässe leicht anheben (auf 6). Falls ein Verstärker mit einem Presence-Regler verfügbar ist, können die oberen Mitten im Anschluss wieder etwas verstärken.
- Tonabnehmer und Feineinstellungen: Bei P90-Tonabnehmern gibt es wenig Bass, daher kann es bei Gitarren mit Humbuckern sinnvoll sein, die Mitten stärker zu betonen und Höhen sowie Bässe etwas zurückzunehmen, um einen ausgewogenen Sound zu erzielen.
Auch wenn es nicht der Studio-Sound ist, so kommst du nah genug ran, ohne dabei das Portemonnaie zu sprengen.
American Idiot – Song für Song
Bevor ihr euch an den Plattenspieler setzt und euch die Geschichte von St. Jimmy und dem Jesus of Suburbia widmet, kommt hier der kurze Abriss, Song für Song:
- American Idiot
Einfache Powerchords, der Text ein direkter Angriff auf die politische Situation der USA zu Zeiten der Bush-Administration: Zeilen wie „Don’t wanna be an American Idiot“ und „I’m not a part of a redneck agenda“ setzen den Ton für die „Punk-Rock Opera“. Der Gitarrensound ist treibend, roh und minimalistisch ohne dabei zu grob zu wirken — Stadion-Punk-Rock, gibts sowas?
- Jesus of Suburbia
Mit einer Länge von über neun Minuten ist „Jesus of Suburbia“ ein geradezu episches Stück, das so manch Kritiker den Jungs von Green Day zu Nimrod-Zeiten nicht zugetraut hätten. Das in fünf Abschnitte unterteilte Stück wechselt zwischen schnellen, aggressiven Punk-Riffs und ruhigeren, melodischen Passagen. Passend für die innere Zerrissenheit des Protagonisten. Der Gitarrensound variiert von druckvollen Powerchords bis hin zu cleanen Akkorden, in den Lyrics thematisiert Armstrong die Frustration und das Gefühl der Entfremdung.
- Holiday
„Holiday“ ist ein lauter, hymnischer Song, der die Rebellion gegen politische Korruption und Krieg feiert — und an der perfekten Stelle im Album platziert wurde. Der Gitarrensound ist hier besonders kraftvoll, mit verzerrten Riffs und einem prägnanten Solo, das den Refrain begleitet. Die Lyrics („This is our lives on holiday“) sind eine ironische Hymne auf den Aufstand, die auch heute passender nicht sein könnte. - Boulevard of Broken Dreams
Im Gegensatz zum vorangegangenen Song-Teil („Holiday“), setzt „Boulevard of Broken Dreams“ auf cleanere Gitarrensounds, die eine melancholische, fast düstere Atmosphäre schaffen. Die Lyrics reflektieren Einsamkeit und Isolation und der sanfte Beginn des Songs entwickelt sich zu einem epischen Refrain, der mit dem Einsatz des Overdrives an Intensität gewinnt. Gitarreneffekte wie Reverb und Delay verstärken die emotionale Tiefe des Songs, sogar kleine Piano-Parts lassen sich finden. Toll.
- St. Jimmy
Dieser Song kehrt zum klassischen, schnellen Punk-Sound zurück. Die ordentlich verzerrten Powerchords und das Tempo zeigen die Figur St. Jimmy, die als rebellisches Alter Ego des Protagonisten auftritt. Ein explosiver Höhepunkt des Albums. - Give Me Novacaine
Eine Mischung aus akustischen Gitarren und einem kraftvolleren Refrain. Das Thema Flucht und Betäubung, das auch die Lyrics behandeln: „Give me a long kiss goodnight and everything will be alright.“ Die cleanen Gitarrenparts sind fast sanft, während der Refrain sich dank massivem Overdrive gut abhebt. - She’s a Rebel
Klassischer Green Day Sound! „She’s a Rebel“ ist ein direkter Song, der mit schnellen Powerchords und einem eingängigen Refrain nach altbekannter Manier funktioniert. Whatsername, die als Symbol für Freiheit und Rebellion fungiert, ist die weibliche Rolle zu St. Jimmy/Jesus of Suburbia. Der Gitarrensound ist simpel und wechselt zwischen aggressiven Strophen und einem Mitsing-Refrain.
- Extraordinary Girl
Mit einem exotischen, fast perkussiven Intro beginnt „Extraordinary Girl“ auf eine ruhigere und melodischere Weise im Vergleich zu den vorherigen Tracks. Storytelling steht hier deutlich im Vordergrund. Und macht Spaß. - Letterbomb
So exotisch „Extraordinary Girl“ daher kommt, so klassisch Punkrock ist dieser Part. Ein wütender Song, der die Beziehung zwischen dem Protagonisten und Whatsername endgültig zerbrechen lässt — der emotionale Höhepunkt des Albums?
- Wake Me Up When September Ends
Ein balladesker Song, gewissermaßen der Nachhall der vorhergehenden Briefbombe. Das Billie Joe Armstrong seine persönliche Trauer über den Tod seines Vaters aufgreift, ist mittlerweile weitverbreitetes Wissen. Und er passt. Ein wunderbar geschriebener, einfacher Song, der mir immer wieder aus dem Nichts in den Kopf fliegt. Ist wohl ein gutes Zeichen, wenn es um die Songwriting-Qualität geht. - Homecoming
Wie „Jesus of Suburbia“, ist auch „Homecoming“ in mehrere Abschnitte unterteilt und zeigt eine epische Reise des Protagonisten. Jeder Abschnitt repräsentiert eine andere Phase der Selbstfindung und des Zusammenbruchs. Der Gitarrensound macht mit und wechselt zwischen aggressiv und melancholisch. Der Song schließt den Bogen der Geschichte und symbolisiert die Rückkehr des Protagonisten nach Hause und sich selbst. - Whatsername
Der letzte Blick zurück zu Whatsername und der vergangenen Rebellion: Unaufgeregt fängt der Protagonist an, von seiner Trennung zu sprechen. „Forgetting you, but not the time“, damit schließt das Album und die Geschichte von Jesus of Suburbia und Whatsername ist zu Ende erzählt.
Eine emotionale Reise: 20 Jahre American Idiot
Je mehr ich in den letzten Tagen auf dem Album herum gedacht habe, desto mehr Erinnerungen an die frühen 2000er sind wieder aufgetaucht. Ganz nüchtern betrachtet ist American Idiot ein Album, das die Grenzen des Punkrocks erweiterte und griffige politische und gesellschaftliche Statements setzte. Für Gitarristen, die sich an den einfachen Strukturen der frühen Green Day Alben sattgespielt hatten, gab es ein paar erfrischende Neuerungen.
Und für mich? Für mich gab es nach all den Jahren noch einiges zu entdecken: Ich hatte mich vorher nur am Rande mit der Story des Albums beschäftigt und war mir kaum bewusst, wie konsequent das Konzept tatsächlich durchzogen wurde.
Und es bleibt damit nur, die Scheibe noch etwa 20-mal zu hören. Und mir die Frage zu stellen, wie Billie Joe Armstrong es schafft, optisch für 32 zu bleiben. Der Mann ist 52, Herrgottnochmal.
Mehr Infos zu American Idiot und Billie Joe Armstrong
Habt ihr Lust, tiefer einzusteigen? Hier gibts mehr Infos zu Green Day, American Idiot und dem Equipment von Billie Joe Armstrong:
- Guitar World: American Idiot, the album that saved the band
- Ultimate Guitar: Die Arbeiten am Album
- Equipboard: Billie Joe Armstrong’s Gear
- Guitar Lobby: Billie Joe Armstrong Guitars & Gear List
- Rig Rundown: Green Day
- PopMatters: Between the Grooves: Green Day – ‘American Idiot’
- Green Day Online: The Story of American Idiot
- Guitar World: Billie Joe Armstrong’s Gitarren
- Louder: Revisiting the album that made Green Day stars
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4 Antworten zu “20 Jahre American Idiot – Green Day und meine Liebe zu Punk”
Ich habe Probleme damit, Greenday als Punk zu bezeichnen. Wenn ich an Sex Pistols, Bollock Brothers und all ihre Nachfolger denke, und die Beach Boys gegenüberstelle, sind Greenday nach meinem Empfinden deutlich näher an den Beach Boys.
Sicherlich liegt das im Auge (Ohr) des Betrachters. Ich für meinen Teil verbinde mit „Punk“ eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Gesellschafts- und Sozialthemen…da passen dann Green Day (in Teilen) ganz gut rein. Wie auch immer kategorisiert: Gefällt dir das Album denn?
In die Definition passt Wolf Bierman besser als Green Day.
Mir gefällt einiges von Green Day aber nie ein ganzes Album.
Ideologisch und auch in der Eigenwahrnehmung Biermanns: Volle Zustimmung. Gibt irgendwo ein gutes Interview, dass er in den 90er der taz gab und sich selbst als „als Punk gesehen“ beschreibt. Musikalisch (Powerchords, einfache Strukturen, schnelles Tempo, Zerre) wohl eher nicht :-)